Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
starrt weiter in die Dunkelheit. Lauscht auf den Wind vor dem Fenster. Sie ist endlich fast eingeschlafen, als Vanessas Handy neben ihr auf dem Boden vibriert.
Sie dreht sich um und tastet danach. Neben ihr murmelt Minoo etwas Unverständliches.
Linnéa schaut auf das Display. Es ist eine SMS .
KANN NICHT AUFHÖREN , AN DEN KUSS ZU DENKEN . WILL MEHR ./ WILLE
Vorsichtig legt Linnéa das Handy zurück.
Wenn sie ein Zeichen haben wollte, wie ihre Chancen bei Vanessa stehen, dann hat sie es jetzt bekommen.
Linnéa macht die Augen zu und zwei Tränen rinnen in den Haaransatz an ihrer Schläfe.
Sie ist in Vanessas Körper, aber Vanessa ist unerreichbarer denn je.
57. Kapitel
M
it langsamen Schritten schleppt sich Vanessa die Ein gangstreppe der Schule hoch.
Anna-Karins Körper ist auf eine Art schwer, die nichts mit Gewicht zu tun hat. Es kommt ihr vor, als würde das Blut in ihren Adern stillstehen. Als würden ihre Füße beim Gehen nie ganz vom Boden abheben.
Sie dachte, es würde schwierig werden, Anna-Karin zu spielen, nachzuahmen, wie sie sich bewegt, aber ihr Körper erledigt das ganz automatisch. Anna-Karins Rückgrat protestiert, als Vanessa versucht, sich aufzurichten. Die Schultern wollen ihre geduckte Haltung nicht verlassen. Die natürliche Position ihres Nackens ist nach unten gebeugt.
Also steckt Vanessa die Hände in die Manteltaschen und schlurft zu Anna-Karins Spind, die Haare hängen ihr ins Gesicht.
Sie schaut niemanden an. Und niemand sie. Näher ist Vanessa dem Zustand der Unsichtbarkeit noch nie gekommen, ohne unsichtbar zu sein.
Ida wartet schon am Spind auf sie und hält ein dicht beschriebenes Blatt Papier in der Hand.
»Minoo hat Listen für
alles
gemailt«, sagt sie und zeigt irgendwo mitten in die Textmasse. »Da steht, welche Bücher wir in der ersten Stunde brauchen.«
Ida hat Minoos Gesicht. Minoos Stimme. Aber es fühlt sich überhaupt nicht so an, als würde ihr Minoo gegenüberstehen.
»Nessa!«, hallt es durch den Korridor.
Vanessa dreht sich automatisch um. Sie sieht sich selbst und wie Evelina sie in den Arm nimmt. Sie sieht Linnéas panischen Blick in ihren eigenen Augen.
»Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«, kreischt Evelina und küsst sie auf die Wange.
Linnéa fährt sich nervös mit den Fingern durch Vanessas Haare, die platt und leblos von ihrem Kopf hängen.
»Ich hatte es ein bisschen eilig heute Morgen«, sagt Linnéa.
Und Vanessa wundert sich, dass ihre Stimme so piepsig klingt.
Wie zur Hölle sollen sie das einen ganzen Schultag lang durchhalten? Ganz zu schweigen von dem Prozess, vor den prüfenden Blicken des Rats.
Evelina und Linnéa verschwinden den Korridor hinunter.
Vanessa fragt sich, welche Entdeckungen Linnéa an ihrem Körper gemacht hat. Sie selbst konnte sich heute Morgen kaum überwinden zu duschen. Sie musste die Augen dabei zumachen, weil es sich viel zu intim anfühlte, auf diese Weise mit Anna-Karins Körper umzugehen.
Vanessa findet die Bücher und verschließt Anna-Karins Spind. Ida und sie gehen Seite an Seite durch den Flur und die Treppe nach oben, ohne ein Wort miteinander zu wechseln.
Das Klassenzimmer ist erst halb voll. Vanessa und Ida lassen die Blicke über die leeren Bänke schweifen und schauen sich aus den Augenwinkeln an.
»Steht auf Minoos Liste, wo die beiden normalerweise sitzen?«, fragt Vanessa leise.
»Nein«, sagt Ida. »Aber irgendwo ganz vorne, wenn Minoo bestimmen darf.«
»Und dicht an der Wand, damit Anna-Karin sich dagegendrücken kann«, sagt Vanessa.
Es gibt nur zwei freie Plätze, die ihren Vermutungen entsprechen, und niemand protestiert, als sie sich dorthin setzen.
Hanna A. und Hanna H. sitzen in der Reihe hinter ihnen. Sie tuscheln leise, aber Vanessa schnappt mehrmals Linnéas, Idas und Eriks Namen auf.
Und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Ida es auch hört. Sie starrt stur geradeaus, tastet mit den Fingern nach ihrer Halsgrube, als suche sie nach dem Silberherz.
»Erik soll froh sein, dass er diese Bitch endlich los ist«, sagt Kevin, als er mit seiner Clique ins Klassenzimmer kommt. »Außerdem ist die Alte total frigide.«
Die anderen lachen, und Vanessa dreht sich um und schaut Kevin angewidert an, als er sich in die letzte Reihe setzt.
»Wolltest du was sagen?«, schnauzt Kevin sie an.
»Dir habe ich ganz bestimmt
nichts
zu sagen«, antwortet Vanessa.
»Richtig«, sagt er. »Schweißtitten können nämlich einfach das Maul halten.«
Vanessa dreht sich wieder nach
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