Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
und schnuppert desinteressiert an seinem Futternapf. Dann verzieht er sich in die Diele, zwängt sich durch die unausgepackten Umzugskisten, die seit Monaten dort herumstehen. Anna-Karin hat ein schlechtes Gewissen. Es war egoistisch von ihr, ihn mit hierherzunehmen, statt ein neues Zuhause für ihn zu suchen, wo er rein- und rausrennen kann, wie er es gewohnt ist. Aber jetzt, wo sie mit ihrer Mutter alleine ist, würde sie es ohne ihn nicht schaffen.
»Jaha, jetzt musste Monika ihren Laden also auch dichtmachen«, sagt Mama.
Ihre Augen funkeln, als sie liest, was unter dem Bild einer traurigen Monika vor ihrem geschlossenen Café steht. Nichts macht ihre Mutter glücklicher als das Elend anderer. Zusammen mit einer Zigarette ist das ihr größtes Vergnügen, und Anna-Karin ist sich nicht sicher, was davon schädlicher ist. Oder ekelhafter. Jedenfalls ist es nur ein kleiner Trost, dass man an passiver Schadenfreude nicht sterben kann.
Sie stellt ihren Teller mit lautem Klappern in die Spüle.
»Hast du vor, den da einfach so stehen zu lassen?«, fragt Mama.
»Ich erledige das später«, antwortet Anna-Karin.
»Wenn du dein Zeug schon da abstellst, kannst du es genauso gut gleich spülen.«
Sie lässt es so klingen, als würde
sie
für gewöhnlich den Abwasch machen.
»Ich habe nicht mehr genug Zeit«, sagt Anna-Karin, geht ins Bad und putzt sich die Zähne.
Sie leben vom Erlös aus dem Verkauf des Hofs und vom Schadenersatz, den die Versicherungsgesellschaft nach dem Brand im Stall schließlich doch noch gezahlt hat. Anna-Karin weiß nicht, wie lange das Geld reichen wird. Mama redet oft davon, dass sie sich einen Job suchen will. Aber wenn Anna-Karin nach der Schule nach Hause kommt, hat ihre Mutter es oft nicht mal zum Einkaufen in den Laden geschafft.
Anna-Karin will sich nicht eingestehen, dass sie enttäuscht ist. Das hieße auch zuzugeben, dass sie auf eine Veränderung gehofft hat, darauf, dass der Umzug in die Stadt ihrer Mutter ein bisschen Leben einhauchen würde. Aber auf dem Hof hatte sie wenigstens eine Aufgabe. Jetzt ist sie isolierter denn je, und Anna-Karin hasst es, ihr dabei zuzusehen, wie sie immer tiefer in ihrer lähmenden Depression versinkt.
Schon beim Gedanken daran, was werden soll, wenn das Geld aufgebraucht ist, überfallen sie düstere Panikgefühle.
Die Luft flirrt über dem heißen Asphalt und lässt die Schule aussehen wie eine Fata Morgana.
Minoo läuft an der Tankstelle vorbei, an der sie damals die Abendzeitung mit dem Artikel über den »Selbstmordpakt« in Engelsfors gekauft hat. Es ist so unglaublich viel passiert, seit sie das Interview mit Gustaf gelesen hat. Damals dachte sie, dass sie ihm niemals verzeihen würde. Und erst recht nicht, dass sie Freunde werden könnten.
Sie wird von einem Auto aus ihren Gedanken gerissen, das drei Mal kurz hupt. Ein dunkelblauer Mercedes hält am Bordstein an. Die Frau im Wagen beugt sich über den Beifahrersitz, während die Fensterscheibe langsam nach unten gleitet.
»Hallo, Minoo«, sagt die Rektorin. »Hattest du schöne Ferien?«
Sie tauschen ein paar Höflichkeitsfloskeln aus, aber Adriana Lopez’ Blick ist gehetzt.
»Am Samstag werden wir das Training im Vergnügungspark wieder aufnehmen«, sagt sie. »Richte das bitte den anderen aus. Wir treffen uns um dieselbe Zeit wie immer.«
»Okay«, sagt Minoo.
Adriana streicht sich leicht mit der Hand über den schwarzen Pagenkopf, auf dem nicht eine Strähne falsch sitzt.
»Es wird einige … Veränderungen geben«, sagt sie, ohne Minoo in die Augen zu sehen.
»Was denn?«
Die Rektorin zögert.
»Das werdet ihr am Samstag erfahren«, sagt sie. »Ich muss mich jetzt beeilen. Wie würde das aussehen, wenn die Rektorin am ersten Schultag zu spät käme?«
Adriana fährt los und beschleunigt. Minoo schaut dem Wagen nach. Glaubt zu erahnen, wie die Rektorin den Rückspiegel korrigiert, als wollte sie noch einen Blick auf Minoo werfen.
Kevin Månssons Moped kommt angeknattert, und Minoo macht einen Satz zur Seite, als er sie beinahe streift. Er lacht laut.
Nein, er ist auch dieses Jahr nicht reifer geworden, denkt Minoo.
Sie folgt dem Schülerstrom, der sich auf den tristen Backsteinbau zubewegt, das Schulgebäude des Engelsfors Gymnasiums. Der aufgefüllte Riss zieht sich wie eine dunkle Narbe über den Schulhof. Die toten Bäume sehen, sofern das überhaupt möglich ist, noch toter aus als vor den Ferien, als wären sie in der erbarmungslosen Sonne vollkommen
Weitere Kostenlose Bücher