Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Kampf mit Max in der Mensa sind sie sich so nahegekommen. Oder hat es sogar noch früher angefangen?
Vanessas Gedanken kehren wieder und wieder zu diesem Samstagabend in Linnéas Wohnung zurück, an dem sie einfach gemeinsam über all das Kranke gelacht haben, das damals in ihren Leben passierte. Erst als die Erinnerung an diesen Abend zerstört war, ist ihr bewusst geworden, wie viel er ihr bedeutet hat.
Anfangs war sie so unfassbar wütend auf Linnéa, dass es ihr nicht schwerfiel, sie zu ignorieren. Aber dann wurde es immer schwieriger. Vanessa ist erstaunt darüber, wie sehr sie Linnéa vermisst. Nur, sobald sie überlegt, ihr zu vergeben, wird ihr wieder klar, was Linnéa getan hat, und die Wut kocht von Neuem in ihr hoch.
Das macht es ja so ätzend. Es ist genauso unmöglich, auf Linnéa zu verzichten, wie ihr zu verzeihen.
»Wollen wir hier die ganze Nacht nur rumstehen, oder was?«, sagt Ida.
Nicolaus sieht angespannt aus.
»Ida hat recht. Lasst es uns aus der Welt schaffen.«
Ihre Schritte knirschen auf dem Kiesweg. Vanessa starrt weiter geradeaus, als Linnéa neben ihr aufschließt.
»Hi«, sagt Linnéa. »Wie geht es dir?«
»Gut«, antwortet Vanessa auf eine Weise, die dieses Wort zum kürzesten der schwedischen Sprache macht.
Wenn Linnéa doch nur aufhören würde, sie anzusehen. Vanessa macht Melvins Lieblingslied zu ihrem Mantra, um nicht aus Versehen etwas zu denken, das Linnéa belauschen könnte.
Funkel, funkel, kleiner Stern, ach, wie bist du mir so fern, wunderschön und unbekannt, wie ein strahlend’ Diamant.
Linnéa schielt ein letztes Mal zu Vanessa rüber, bevor sie ihr von der Seite weicht und die Führung übernimmt. Sie gibt den anderen ein Zeichen, ihr auf den alten Teil des Friedhofs zu folgen.
Ein schmaler Pfad führt zwischen verwitterten Steinblöcken und schweren gusseisernen Kreuzen hindurch. Es gibt niemanden mehr, der weiß, wie die Menschen, die hier beerdigt sind, aussahen oder wie sie waren, als sie noch lebten. Schon seit Hunderten von Jahren. Das ist ein faszinierender und schwindelerregender Gedanke.
»Hier ist es«, sagt Linnéa.
Der Grabstein, vor dem sie steht, ist im Vergleich zu den anderen, eher protzigen Gedenksteinen ziemlich unscheinbar. Sie knipst eine Taschenlampe an und richtet den Strahl direkt auf Nicolaus’ Namen.
Minoo schaut Nicolaus an. Er steht vollkommen reglos da, wie einer dieser unheimlichen Pantomimen, die auf Märkten so tun, als wären sie Statuen. Sie fragt sich, was in ihm vorgeht.
»Okay«, sagt Ida und bricht die Stille. »Nicolaus hat also einen Vorfahren, der genauso hieß wie er. Ich kapiere nicht, warum wir uns deshalb mitten in der Nacht auf dem Friedhof versammeln müssen? Will die Katze, dass wir uns jetzt mit Ahnenforschung beschäftigen, oder was?«
Bei Idas Tonfall krampft sich in Minoo alles zusammen.
»Memento mori«,
sagt sie und kämpft darum, beherrscht zu klingen. »Bedenke, dass du sterben musst. Wir haben uns die ganze Zeit gefragt, warum – und jetzt können wir es vielleicht herausfinden.«
Ida hebt die Augenbrauen und schaut zu Nicolaus, der noch immer kein Wort gesagt hat.
»Ach ja? Dann schieß los«, sagt sie. »Was hat es mit diesem Grab auf sich?«
Er schüttelt nur den Kopf.
Minoo weiß, dass es unfair ist, aber gerade jetzt frustriert sie sein Schweigen so sehr. Sie weiß nicht, was sie erwartet hat, wenn er den Grabstein sieht, aber doch zumindest, dass
irgendwas
passiert.
»Vielleicht müssen wir erst so eine Art Ritual ausführen?«, sagt Anna-Karin.
Alle schauen zu Minoo und sie fragt sich, seit wann das so ist. Seit wann sie diejenige ist, von der alle glauben, dass sie eine Lösung parat hat, obwohl sie weder das Buch der Muster lesen kann noch ein eigenes Element hat.
»Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Wir müssen das Buch um Rat fragen …«
»Das habe ich schon versucht. Es sagt nichts«, erwidert Linnéa. »Außerdem ist doch total offensichtlich, was wir tun müssen.«
Sie macht eine Pause und schaut die anderen an.
»Wir müssen graben.«
Minoo hat auch schon daran gedacht, aber den Gedanken gleich wieder verworfen. Sie haben viele bizarre Dinge zusammen gemacht. Magische Rituale und Dämonenbekämpfung. Aber ein Grab zu öffnen …
Und gleichzeitig fällt ihr nicht eine einzige Alternative ein.
»Das ist ja wohl absolut ekelhaft«, sagt Ida. »Sollen wir etwa hier und jetzt in der Erde rumbuddeln, oder was?«
»Es kommt nicht infrage, dass ihr die Totenruhe stört«,
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