Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Einfluss, um dafür zu sorgen, dass sie erneut verhört und anschließend begnadigt wird. Das wäre auch dem Rat lieber. Besser ein gehorsames Mitglied, das lebt, als eine tote Rebellin, die zur Märtyrerin stilisiert werden könnte.«
Das klingt eigentlich ziemlich plausibel, denkt Minoo. Auch wenn es dem Rat gelungen ist, Adriana zu verurteilen, so ist sie doch der Beweis dafür, dass es möglich ist, den Rat zu hintergehen.
»Minoo«, sagt Viktor. »Du hast das mit Max gemacht, nicht wahr? Wenn es so ist, dann bist du die Einzige, die Adriana retten kann.«
Minoos Blick wandert zurück zur Kristallgrotte. Im Laden ist es inzwischen dunkel, sie sieht nur ihr eigenes Spiegelbild im Schaufenster.
An dir ist etwas falsch. Aber das weißt du ja schon, nicht wahr?
»Ich kann verstehen, wenn ihr erst noch mal darüber sprechen wollt«, sagt Viktor. »Ich warte draußen. Aber beeilt euch.«
Er schaut Minoo ein letztes Mal an und geht.
Die Auserwählten bleiben schweigend zurück, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hat.
»Es klingt wie eine Falle«, sagt Linnéa.
»Das ist egal«, sagt Minoo. »Ich kann es sowieso nicht tun. Als ich Elias’ und Rebeckas Seelen befreit habe, kamen Max’ Erinnerungen von ganz alleine mit. Und es ist ja auch nicht so, dass ich sie ihm gestohlen hätte, ich habe sie nur gesehen. Hätte ich weitergemacht, hätte ich die Erinnerung aus seinem Bewusstsein ziehen können, aber dann hätte ich auch seine Seele mitgenommen. Ich kann nur … amputieren. Aber was Viktor erwartet, ist Hirnchirurgie.«
»Seit damals sind unsere Kräfte gewachsen«, sagt Anna-Karin zu Minoo. »Und es ist Adrianas einzige Chance.«
»Okay, gleich werden mich wie immer alle für total gefühlskalt halten«, sagt Ida. »Aber wir haben heute Abend schon was vor. In der Schule sind weit über hundert Personen. Und Adriana ist nur eine.«
Anna-Karin wird rot vor Zorn.
»Wie kannst du so was sagen?«, faucht sie. »Sie ist unsere Freundin!«
»Das weiß ich!«, sagt Ida. »Ich würde mir auch wünschen, dass wir sie retten könnten! Aber es ist ja wohl nicht meine Schuld, dass ihre Hinrichtung sich mit dieser kranken Opferparty überschneidet! Was ist, wenn wir Minoo brauchen, um PE aufzuhalten? Stell dir vor, Minoo geht mit Viktor, und in der Schule sterben alle, nur weil sie nicht bei uns war! Es ist ja nicht mal sicher, dass sie Adriana wirklich retten
kann
, das sagt sie doch selbst!«
Es hört sich an wie eins dieser utilitaristischen Beispiele, die sie im Philosophieunterricht diskutiert haben. Ist es richtig, einer Person Schmerzen zuzufügen, um hundert Personen zu retten? Ist es richtig, einen Menschen zu retten, wenn es zugleich bedeutet, dass hundert andere möglicherweise sterben? Theoretische Beispiele, zu denen man leicht eine Meinung haben kann, solange man im Klassenzimmer sitzt. Minoo hat immer super Noten bekommen. Aber es ist etwas ganz anderes, in echt vor diesem Dilemma zu stehen.
»Ida hat recht«, sagt Linnéa. »Wir wissen nicht, wie es heute Abend laufen wird. Wir wissen nicht, was genau PE vorhat. Wir wissen nicht, ob wir Minoo in der Schule brauchen.« Sie schaut die anderen an. »Es ist unmöglich zu entscheiden, welche Strategie die bessere ist. Wir können nur entscheiden, was richtig wäre. Und es wäre nicht richtig, Adriana sterben zu lassen. Immerhin besteht die Chance,
sowohl
Adriana zu retten
als auch
PE zu stoppen.«
»Ich traue Viktor nicht«, sagt Vanessa.
»Ich auch nicht«, sagt Linnéa und ihr Blick wandert zu Minoo. »Aber wir haben keine Wahl.«
Und Minoo weiß, dass sie recht hat.
Sie schaut die anderen an. Die Auserwählten. Es gibt so vieles, das sie ihnen sagen möchte. Aber ein abergläubischer Teil von ihr verbietet ihr, das zu tun. Wenn sie sich jetzt verhält, als würden sie sich gerade zum letzten Mal sehen, dann ist es vielleicht wirklich so.
Ich denke wie ein PE -ler, stellt sie fest. Aber meine Gedanken haben keinen Einfluss auf das, was geschehen wird. Nur meine Handlungen sind wichtig.
Sie bringt es trotzdem nicht über sich, etwas zu sagen. Die Worte erscheinen ihr zu groß.
»Ich komme nach, so schnell ich kann«, sagt sie. »Seid vorsichtig.«
»Du wirst es schaffen«, sagt Linnéa und umarmt sie kurz.
Minoo merkt, wie ihr die Tränen kommen.
»Du auch«, flüstert sie.
Sie umarmt auch Vanessa und Anna-Karin drückt sie besonders lang. Dann dreht sie sich zu Ida um.
»Ich habe Gustaf gesagt, er soll die Kette nicht umlegen«, sagt
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