Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
anwesend, um den beiden die letzte Ehre zu erweisen.
Niemand wird je die Wahrheit über ihre Verbrechen erfahren. Ihre und Olivias.
Olivias Eltern haben ihre Tochter als vermisst gemeldet und ihr Foto zirkuliert im Internet. Auch Linnéa fragt sich, wo Olivia wohl sein mag. Hat man sie in irgendein entferntes Hauptquartier gebracht? Oder ist sie immer noch bei Alexander und Viktor auf dem Herrenhof? Lebt sie überhaupt?
Linnéa hat aufgehört, sich Vorwürfe zu machen, weil sie nicht erkannt hat, dass Olivia die Gesegnete der Dämonen war. Aber sie kann nicht aufhören, sich zu fragen, ob sie Olivia zu einem früheren Zeitpunkt vielleicht noch hätte helfen können. Wenn sie ihr mehr zugehört, sie ernster genommen hätte. Womöglich wäre es dann gar nicht erst so weit gekommen.
Björn Wallin kommt aus der Tür. Er schleppt einen hohen Stapel einfacher Holzstühle.
»Hi«, sagt Linnéa.
Er sieht sie überrascht an. Stellt die Stühle am Container ab und streckt seinen Rücken.
»Hallo, Linnéa«, sagt er.
Sie mustert ihn prüfend. Sucht nach Zeichen, dass er wieder trinkt. Nach diesen Zeichen, die am Anfang so unscheinbar sind, unmerkbar für jeden außer Linnéa.
»Ich bin nüchtern«, sagt er.
Sie begegnet seinem Blick. Weigert sich, sich zu schämen. Sie hat allen Grund, ihm zu misstrauen.
»Wie schön«, sagt sie.
Er nickt. Schaut auf das schlichte, schwarze Kleid unter ihrem Sommermantel, die schwarzen blickdichten Strumpfhosen.
»Gehst du zur Beerdigung dieses Mädchens?«, fragt er.
»Ja.«
»Wart ihr befreundet?«
»So was Ähnliches«, sagt Linnéa, denkt einen Augenblick nach, bevor sie es sich anders überlegt. »Doch. Waren wir.«
»Es tut mir leid«, sagt er. »Das war eine schreckliche Geschichte.«
Linnéa nickt.
Sie fragt sich, was ihr Vater mittlerweile von PE hält. Sie fragt sich, ob er je von dem Gerücht gehört hat, Linnéa hätte versucht, Robin und Erik anzuschwärzen. Sie fragt sich, was er darüber wohl gedacht haben mag. Ob er es geglaubt hat.
Sie schaut ihn an. Es wäre so einfach, seine Gedanken zu lesen. Aber es widerstrebt ihr. Vielleicht, weil sie es gar nicht wissen will. Vielleicht aber auch, weil sie keine Abkürzungen nehmen kann, wenn sie doch irgendwann wieder eine Beziehung zueinander haben wollen.
»Was hast du jetzt vor?«, fragt sie. Es ist ihre Art, ihn zu fragen, ob er wieder anfangen wird zu trinken, und sie ist sicher, dass er weiß, was sie meint.
»Ich habe Arbeit im Sägewerk gefunden«, sagt er. »Ein Freund von PE hat mir den Job vermittelt. Jetzt nach Ostern geht es los. Was dann kommt, weiß ich nicht.«
Er sieht sie ernst an.
»Ich werde nicht wieder trinken. Und mir ist klar geworden, dass es nur einen Weg gibt, dich davon zu überzeugen. Ich muss es dir beweisen, jeden Tag. Wenn du bereit bist, können wir über alles reden. Melde dich, wann immer du willst. Ich möchte gerne wieder dein Papa sein, aber ich habe kein Recht dazu, das einzufordern.«
Es steigen so viele Gefühle in ihr hoch, dass sie ihm nicht antworten kann. Sie hat schon lange aufgegeben, auf das zu hoffen, was er da sagt – zu hoffen ist gefährlich.
»Wir bringen ein paar Möbel weg«, sagt er. »Sollen wir dich bis zur Kirche mitnehmen?«
»Nein«, erwidert sie eine Spur zu schnell. »Ich laufe lieber.«
»Okay«, sagt er. »Pass auf dich auf.«
Linnéa nickt und ringt sich ein Lächeln ab. Dann läuft sie eilig los, schafft es einen Häuserblock weit, bevor die Tränen fließen.
Anna-Karin setzt sich auf den Stuhl neben Großvaters Bett, darauf bedacht, den Rock nicht zu zerknittern. Sie hat sich das Kostüm ausgeliehen, das ihre Mutter sonst bei Beerdigungen trägt, und sich die Haare auf dieselbe Weise hochgesteckt wie Vanessa während des Prozesses.
Großvater lässt seine Kreuzworträtselzeitschrift sinken und schaut sie über den Rand der Lesebrille hinweg an.
»Ist jemand gestorben, mein Spätzchen?«, fragt er besorgt.
»Ja«, sagt sie. »Eine Freundin von mir wird heute beerdigt.«
Sie hat ihm schon von Ida erzählt, aber er scheint sich nicht daran zu erinnern.
»Wie geht es dir, Großvater?«
Er wedelt abwehrend mit seiner dünnen Hand, sagt etwas auf Finnisch.
»Von mir gibt es nichts Neues zu erzählen«, fährt er auf Schwedisch fort. »Erzähl mir lieber etwas von dir.«
Anna-Karin hat wieder angefangen, den Wald zu erkunden. Irgendetwas sagt ihr, dass sie dorthin muss. Sie ist mit dem Fuchs an ihrer Seite umhergewandert, hat gesucht,
Weitere Kostenlose Bücher