Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Apokalypse kommt?
Das Buch lässt sich reichlich Zeit, um seine Antwort zu formulieren.
Der letzte Kampf wird stattfinden
.
Dann wird es verworrener. Kleine Informationshäppchen tauchen in Idas Bewusstsein auf, und sie versucht, sie zusammenzusetzen. Es geht um eine mögliche Wegentscheidung. Um größere oder kleinere Wahrscheinlichkeit.
Sie blättert weiter und dreht den Musterfinder. Konzentriert sich auf die Frage.
Es gibt also mehrere mögliche Varianten der Zukunft?
Das Buch antwortet fast sofort.
Ja
.
Und dann:
Nein
.
Entscheide dich mal
, denkt Ida, bevor sie sich beherrschen kann.
Die Zeichen fließen ineinander, überlappen sich, bilden ein einziges Durcheinander. Sie hat das Gefühl, das Buch verärgert zu haben. Sie konzentriert sich, so gut sie kann.
Wenn es verschiedene Varianten gibt … werde ich in einer von ihnen mit G zusammenkommen?
Das Buch schweigt. Dann bewegen sich die Zeichen.
Du bist etwas Besonderes, Ida. Vergiss unsere Übereinkunft nicht. Du musst mit dem Zirkel zusammenarbeiten, bis der letzte Kampf vorbei ist. Dann bekommst du deine Belohnung. Wenn du das Versprechen hältst, das du mir gegeben hast, halte ich auch meines
.
Ida seufzt.
Sie hat den anderen gesagt, dass sie im Buch der Muster nichts mehr sehen kann. Und das stimmt ja auch. Zumindest nichts, was die anderen wissen müssen. Nichts, was den Auserwählten helfen würde.
Seit sie gelernt hat, das Buch zu lesen, hat es ihr immer wieder dasselbe Versprechen gegeben: dass sie alle ihre Kräfte fallen lassen darf, alles, was mit den Auserwählten zu tun hat. Sie muss nur durchhalten, bis sie die Apokalypse verhindert haben.
Es ist dunkel, als Vanessa am Hochhaus ankommt. Sie schaut zu den Fenstern im obersten Stock und fragt sich, ob Linnéa zu Hause ist.
Sie ist durch halb Engelsfors gelaufen und das unwirkliche Gefühl hat nicht nachgelassen. Das Gefühl, Teil einer großen Filmkulisse zu sein, in der die wenigen Menschen, die ihr begegnen, nichts als Statisten sind.
In ein paar Stunden treffen sie sich auf dem Friedhof. Vanessa hat die Michelle-Karte gespielt und ihrer Mutter erzählt, dass sie dort übernachten wird.
Plötzlich geht hinter einem Fenster im achten Stock eine rote Lampe an, und Vanessa weiß, dass Linnéa da ist. Vielleicht hat sie sie von oben gesehen. Oder ihre Gedanken gehört? Gespürt, dass sie hier unten steht?
Vanessa wünscht sich nichts mehr, als Linnéa verzeihen zu können. Alles in ihr schmerzt vor Sehnsucht. Linnéa ist der einzige Mensch auf der Welt, dem sie nie etwas vormachen muss.
Ein Windstoß fegt über die Straße. Er weht Staub auf, der um Vanessa herumwirbelt. Kleine Sandkörner, die vor ihren Füßen über den Asphalt rollen. Aber als sie zu den Büschen zwischen den Hochhäusern sieht, bewegt sich nichts.
Der Wind existiert nur um Vanessa herum. Ein Schauer überläuft ihre Haut, als er über ihr Gesicht streift, mit ihren Haaren spielt. Es ist dasselbe Gefühl, wie unsichtbar zu werden, nur stärker.
Nach einem kurzen Augenblick verschwindet der Wind wieder.
Vanessa schaut noch einmal hoch zu Linnéas Fenster, dann geht sie.
11. Kapitel
M
inoo weiß nicht, was schlimmer ist. Wenn ihre Eltern sich anschreien oder der Moment unmittelbar davor. Wie jetzt. In jedem Satz brodelt unterdrückter Ärger. Ein einziges Wort, ein einziger Blick kann der zündende Funke sein.
Früher hat sie sich immer auf ihre gemeinsamen Abendessen gefreut. Inzwischen ist sie jedes Mal erleichtert, wenn ihre Mutter Nachtschicht hat oder ihr Vater Überstunden macht. Mit beiden zusammen Abend zu essen, ist ungefähr so lustig und entspannt wie ein Picknick im Schützengraben.
»Diese verfluchte Hitze«, sagt Papa und trocknet sich die Stirn mit der Serviette ab. »Minoo, gibst du mir bitte mal das Salz?«
Mechanisch reicht sie ihm die Salzmühle. Sie muss ihre Mutter gar nicht ansehen, um zu wissen, dass sie ein missbilligendes Gesicht macht. Und sie muss ihren Vater nicht ansehen, um zu wissen, dass er mit einem Blick antwortet, der besagt, dass das ganz alleine seine Angelegenheit ist. Es kommt ihr vor, als würde er mit der Salzmühle ein paar Umdrehungen extra machen, nur um zu unterstreichen, dass er nicht beabsichtigt, sich bevormunden zu lassen. Das Schweigen am Tisch ist so kompakt, dass die Mühle klingt wie ein Steinbrecher.
Salzflocken regnen auf Fisch und Kartoffeln herunter. Bald wird Papa fünfundvierzig. Dann ist er im selben Alter, in dem sein eigener Vater an
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