Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
einem Herzinfarkt starb.
Minoo stochert mit der Gabel in den Lachsstücken und hofft, dass Mama weder das Salz kommentiert noch die Tatsache, dass Papa kein Gemüse auf seinem Teller hat.
»Wie war der erste Schultag?«, fragt Mama.
»Ganz okay. Wir haben eine neue Mentorin, Ylva. Sie unterrichtet Mathe und Physik und wirkt ziemlich langweilig.«
»Sie kann sich nicht mit Max messen, oder? Solche Lehrer wachsen leider wirklich nicht auf Bäumen.«
Mama sieht verständnisvoll aus, aber sie versteht gar nichts. Minoo trinkt einen großen Schluck Wasser, um den trockenen Lachs runterzuspülen.
»Das ist so eine traurige Geschichte«, fährt Mama fort. »Wie lange liegt er jetzt schon so da? Ein halbes Jahr? Es muss …«
»Können wir über was anderes reden?«, fällt Minoo ihr ins Wort.
»Ja, lass sie in Ruhe. Das ist bestimmt nichts, worüber Minoo jetzt nachdenken möchte«, sagt Papa.
»Natürlich«, sagt Mama sanft, aber der Blick, den sie Papa zuwirft, ist rasiermesserscharf. »Ich wollte auch nur sagen, dass es schwer sein muss für Ylva, sich mit einem Lehrer zu messen, den Minoo so gerne mochte. Und im Unterschied zu dir, Erik, halte ich es für wichtig, ab und zu über problematische Dinge zu sprechen.«
»Wir haben auch einen neuen Jungen in die Klasse bekommen«, sagt Minoo, bevor ihr Vater antworten kann. »Viktor Ehrenskiöld. Er kommt aus Stockholm.«
»Ehrenskiöld. Das sind die Leute, die den Herrenhof gekauft haben«, sagt Papa.
Als Chefredakteur der
Engelsfors Nachrichten
hat er Einblick in alles, was in der Stadt vor sich geht. Er kennt jeden Nachbarschaftsstreit und noch den kleinsten Ausgabeposten im kommunalen Haushalt.
»Weißt du was über sie?«, fragt Minoo.
»Vater und Sohn. Der Vater ist Daytrader. Er ist rund um die Uhr damit beschäftigt, Aktien zu kaufen, zu verkaufen und dabei massig Geld zu scheffeln. Ich habe mit Bertil gesprochen, der ihnen das Haus verkauft hat, und er hat erzählt, dass das richtige Leuteschinder sind, alle beide, der Vater wie der Sohn.«
»Gibt es in Bertils Welt noch eine andere Art von Stockholmern?«, schnaubt Mama.
»Er wirkt wirklich ganz schön eingebildet«, sagt Minoo schnell. »Dieser Viktor, meine ich.«
»Vielleicht ist er einfach nur unsicher«, sagt Mama.
»Oder er ist ganz einfach ein übler Typ«, sagt Papa. »Man kann nicht immer alles psychologisieren und erklären.«
»Nein,
wieso
sollte man auch versuchen, seine Mitmenschen zu verstehen?«, sagt Mama. »Vor allem, wenn sie aus
Stockholm
kommen. Himmel, Erik, du wirst von Jahr zu Jahr provinzieller.«
Da ist er. Der Funke. Ihre Blicke bleiben aneinander hängen. Papas Gesicht färbt sich von einer Sekunde auf die andere von rosig zu dunkelrot.
»Und was meinst du damit, Farnaz?«
»Schrei nicht«, sagt Mama mit dieser überlegenen, kühlen Stimme, um die sie bei jedem Streit wetteifern. Wenn der eine laut wird, ist der andere eiskalt.
»Ich schreie nicht!«, brüllt Papa und schleudert seine Gabel quer über den Tisch, sodass sie klirrend neben Minoo auf dem Fußboden landet.
Am liebsten würde sie sie zurückschleudern. Aber stattdessen steht sie auf, nimmt ihren Teller und stellt ihn neben die Spüle. Mama und Papa scheinen nicht mal zu merken, dass sie die Küche verlässt.
Minoo stürmt die Treppe hoch, schließt ihre Zimmertür hinter sich ab und macht Musik an. Dreht die Lautstärke auf, bis sie die Stimmen nicht mehr hören kann, die durch den Fußboden nach oben dringen.
Sie sinkt auf ihr Bett. Versucht, ruhiger zu atmen, sich auf den Song zu konzentrieren.
Ist da noch irgendwo Liebe zwischen ihren Eltern?
Sie küssen und umarmen Minoo, aber untereinander berühren sie sich nicht besonders oft oder sagen »Ich liebe dich«.
Vielleicht bleiben sie nur meinetwegen zusammen so wie Gustafs Eltern, denkt Minoo. Vielleicht warten sie nur darauf, dass ich ausziehe, damit sie sich endlich scheiden lassen können?
Das ist ein schrecklicher, demütigender Gedanke. Als wäre sie eine Kette, die die beiden aneinanderfesselt.
Im Erdgeschoss knallt die Arbeitszimmertür, der Schlag geht Minoo durch Mark und Bein. Mama schreit Papa etwas hinterher. Sie benehmen sich pubertärer, als Minoo es je getan hat.
Ihr Blick fällt auf die große Sporttasche, die auf dem Boden steht. Darin sind drei Spaten, ein paar Taschenlampen, ein Stemmeisen und eine große Wasserflasche. Nie hätte sie gedacht, dass sie sich je darüber freuen würde, mitten in der Nacht abzuhauen und ein
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