Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Lügen und Falschheit wie Beulenpest in der Schule verbreitet. Linnéa würde ihr am liebsten den Spaten aus der Hand reißen und ihr dieses Lächeln aus dem Gesicht hacken.
Sie weiß, dass sie Ida als einen Teil des Zirkels akzeptieren muss, aber sie wird nie vergessen, wer Ida eigentlich ist: etwas mindestens ebenso Böses wie das, was die Auserwählten aufhalten sollen.
»Worauf warten wir?«, fragt Vanessa mit belegter Stimme. »Wollten wir nicht ein Grab ausheben?«
12. Kapitel
I
da sieht, wie Minoo ihr wichtiges Professorengesicht aufsetzt.
»Ich habe drei Spaten und Ida einen«, sagt sie, als wäre nicht offensichtlich, dass Ida mit exakt
einem
Spaten hier steht. »Das reicht nicht für uns alle, aber irgendjemand muss ja auch Wache halten.«
»Das kann ich machen«, sagt Linnéa.
Niemand hat Einwände. Am wenigsten Ida, die nur froh darüber ist, den Gedankenlesefreak los zu sein.
Es gibt niemanden, den Ida mehr verabscheut. Linnéa ist anstrengend, laut und nervig und vor allem total psycho. Sie hält sich für was Besonderes, mit ihren Klamotten und ihrer Schminke, aber sie kapiert einfach nicht, dass Freaks in den Augen normaler Menschen alle gleich aussehen.
Idas Hand umklammert den Holzgriff des Spatens, als sie hinter den anderen zum Grab geht. Sie ist die Letzte in der Reihe, und sie hat das Gefühl, als würde sie jemand mit einer Feder im Nacken kitzeln, wenn sie an die Dunkelheit hinter sich denkt. An alles, was sich dort verstecken könnte.
Sie heftet den Blick auf Vanessas blonden Hinterkopf. Will die Grabsteine nicht sehen, an denen sie vorbeigehen. Will absolut nicht an die Leichen denken, die in der Erde verrotten. An die Maden, die in den Augenhöhlen und zwischen den Rippen herumkriechen. Und will schon gar nicht daran denken, dass sie eins dieser verdammten Drecksgräber gleich ausheben.
Will nicht, will nicht, will nicht, will nicht, will nicht …
Ida hat die Dunkelheit schon immer gehasst. Als sie klein war, dauerte es manchmal Stunden, bis sie schlafen konnte. Sie lag im Bett und lauschte auf jedes noch so leise Geräusch. Sorgfältig in ihre Decke gewickelt, wagte sie es nicht, einen Arm oder ein Bein rauszustrecken. Zu ängstlich, um die Augen zuzumachen, zu ängstlich, um aufzustehen, zu ängstlich, um liegen zu bleiben.
Manchmal rief sie nach ihren Eltern. Die kamen dann verschlafen an ihre Zimmertür und behaupteten seufzend, dass die Dunkelheit nicht gefährlich sei. Dass alles genauso sei wie am Tag.
Als wäre das Leben am Tag vollkommen ungefährlich, als gäbe es nicht genug Beängstigendes. Und als würde es nicht noch viel schlimmer werden, wenn sich alles, was einem Böses will, in der Dunkelheit verstecken kann. Mörder und Pädophile. Durchgeknallte Kampfhunde und Junkies.
Weder Erik noch Julia oder Felicia haben je etwas bemerkt. Ida ist Expertin darin, so zu tun, als ob sie schläft. Sie atmet tief wie im Schlaf, während sie mit weit aufgerissenen Augen in die Finsternis starrt.
Sie wird sich auch jetzt nicht anmerken lassen, dass sie Angst im Dunkeln hat, aber jede Wette, dass Linnéa das längst aus ihrem Hirn gefischt hat.
Ja. Mit Sicherheit hat Linnéa ihre Kräfte benutzt, um ihr eins auszuwischen.
Vanessa bleibt unvermittelt stehen und Ida stößt fast mit ihr zusammen.
Sie sind da.
Für einen Augenblick halten alle inne. Ida spürt wieder die Feder im Nacken und macht ein paar Schritte auf den Grabstein zu, um Vanessa zwischen sich und die Dunkelheit zu bringen.
Minoo öffnet die Sporttasche.
»Ich habe im Internet recherchiert und herausgefunden, dass der Sarg etwa zwei Meter tief in der Erde liegen müsste«, sagt Minoo und nimmt einen Spaten.
»Zwei Meter«,
stöhnt Vanessa, greift ebenfalls nach einem Spaten und rammt ihn prüfend in den Boden. »Anna-Karin, dein Element ist doch verdammt noch mal Erde, kannst du sie nicht einfach weghexen?«
»Deins ist Luft, warum versuchst du es nicht einfach mit Pusten?«, sagt Anna-Karin leise.
Vanessa drückt den Spaten nach unten und hebt einen großen Brocken trockener Erde mit verbranntem Gras ab.
Ida schaudert sogar in der warmen Sommernacht. In dieser Angelegenheit ist sie mit Nicolaus ganz einer Meinung. Der alte Gammler hat recht: Das hier ist falsch – in jeder Hinsicht.
Auch Anna-Karin und Minoo stoßen ihre Spaten in den Boden.
Ida schluckt schwer und ruft sich ins Gedächtnis, warum sie hier ist, was das Buch ihr versprochen hat. Sie stellt sich neben Minoo und fängt an zu
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