Feuer fuer den Grossen Drachen
versuch ich’s eben – schließlich bin ich daran schuld, daß ihr… daß du…» Q-Müller ließ sich Kochales Nummer geben und begann zu wählen, ohne sich auf eine weitere Diskussion einzulassen.
Doch Kochale war nicht daheim, und in derselben Sekunde wurde gemeldet, daß Q-Müllers Taxe unten schon hupte. Er raffte seinen Kram zusammen.
«Du…» Hanna versuchte ihn festzuhalten: «Kann ich nicht Tugruls Familie außen vor lassen?»
Q-Müller reagierte äußerst gereizt. «Du hast sie wohl nicht mehr alle! a) bringt das die ganze Stichprobe durcheinander und b) ist das noch die beste Chance, wirklich was rauszubekommen… Mach’s gut!»
Draußen war er.
Hanna hatte keine Lust, mit den anderen in die Pizzeria zu gehen. Sie änderte aber schlagartig ihre Meinung, als sie auf die Straße hinuntergegangen waren.
In einer falsch geparkten Taxe saß Kochale und beobachtete sie. Ihr Kopf fuhr zum Funkturm hinauf, als hätte sich dort ein Wunder ereignet.
Im Schutz der anderen erreichte sie das Restaurant. Kochale rollte noch ein Weilchen neben ihnen her, dann ließ er den Motor aufheulen und jagte den Kaiserdamm hinunter.
Hanna hatte wenig Appetit, und sie war froh, als Herbert, einer der Diplom-Psychologen in Q-Müllers Team, in Richtung Kreuzberg mitgenommen werden wollte, ins Freakland, und zwar bis zum Künstlerhaus Bethanien.
«Ja, klar, aber ich muß vorher noch einen abholen…» Eine präzisere Bezeichnung für Tuğrul war ihr auf die Schnelle nicht mehr eingefallen.
Sie kamen gut voran, denn noch hatte der Berufsverkehr nicht eingesetzt. Doch als sie die Straße des 17. Juni hinunterfuhren, unter der S-Bahn hindurch, das Brandenburger Tor vor Augen, da geschah Merkwürdiges: Siegessäule, Großer Stern – aus allen Himmelsrichtungen rasten Taxen auf sie zu. Hanna trat auf die Bremse, fuhr rechts ran.
Herbert drehte das Fenster herunter und fragte einen der herumstehenden Polizisten, der sein Walkie-Talkie wie ein Schmusetierchen an die Backe gedrückt hatte und das aufgeregte Quäken zu deuten suchte:
«Was is’n los?»
Der Mann, auf bürgernahes Verhalten getrimmt, antwortete sogar: «‘n Türke hat ‘n Taxifahrer überfallen. Am hellichten Tage schon…»
Vom Neuen See her zwei, drei Schüsse. Dann brach ein junger Türke aus dem Unterholz hervor, dicht neben ihrem Wagen. Wie sehr er Tuğrul glich: kastanienbraune Augen, apachenschwarzes Haar.
Jetzt waren sie zu viert hinter ihm her, der Junge hatte keine Chance mehr. Als er über die Straße hetzte, prallte er gegen den Bug einer herausschießenden Taxe. Sie sahen nur noch, wie er, mehr Testpuppe als Mensch, meterweit durch die Luft gewirbelt wurde.
«Der überfällt keinen mehr», sagte der Beamte mit dem Walkie-Talkie.
Hanna war kalkweiß geworden. Sie ließ Herbert ans Steuer und erholte sich erst wieder, als sie Tuğrul in der Turmstraße vor dem Gerichtsgebäude warten sah. Sie sprang aus dem Wagen, umarmte ihn, hüllte ihn ein wie mit einem schützenden Mantel. Sie küßte ihn.
Und dann waren auf einmal wieder die Stimmen da, die sie in letzter Zeit verfolgten.
Er denkt und fühlt doch ganz anders als du. Er ist Moslem, und du bist auf dem Emanzipationstrip – das ist doch Wahnsinn!
Er wird dich nie verstehen können.
Er wird dich mit nach Anatolien nehmen wollen, und da gehst du garantiert vor die Hunde.
Er ist zerrissen zwischen hier und dort, und er wird dich zerreißen.
Aber zugleich… Er ist so ruhig und besonnen; er kann mir zuhören, er ist zärtlich, herzlich, so wahnsinnig charmant… Ich muß Kochale vergessen… Tuğrul streichelte sie und war erregt.
«Abpfiff!» Herbert drückte auf die Hupe. «Ich steh hier im Halteverbot.»
Das war ein Argument, und sie beeilte sich, in den Wagen zu kommen.
Herbert hatte zuerst Mühe, einen Parkplatz für Hannas Golf zu finden, aber dann, Adalbert Ecke Waldemarstraße, klappte es. Sie waren da, wo sie hingewollt hatten, und bis zum Künstlerhaus Bethanien waren es nur ein paar Schritte. Herbert empfahl sich, die neuesten zitty- und tip- Ausgaben schwenkend, seine geliebten Stadtillustrierten.
Es war Hannas zweiter Besuch bei den Önals. Beim ersten, vor knapp vier Wochen, hatte sie Tuğrul kennengelernt. Er hatte sie nur zum Auto hinunterbringen wollen.
Sie folgte Tuğrul in den Hausflur. Es roch feucht und muffig und außerdem nach Pisse. Stadtstreicher wieder mal; die Tür ließ sich schon lange nicht mehr abschließen. Auf dem ‹Stillen Portier›
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