Feuer fuer den Grossen Drachen
Sie fühlte sich in diesem Fach so wohl wie ein Homosexueller in einer ‹normalen› Ehe. Aber ihre Leute in Jever hatten darauf bestanden.
Ihre Leute in Jever… Sie kam nicht los davon, auch als sie endlich im Wagen saß und über die Avus stadteinwärts jagte. Der silberne VW-Golf war ein Geschenk ihrer Sippe zum bestandenen Staatsexamen. Wenn die gewußt hätten, daß Tuğrul und sie… Die hätten sich gar nicht mehr eingekriegt. Voller Abscheu und Empörung haben wir von dir hören müssen… Das war widernatürliche Unzucht für die. Rassenschande.
Zwar hatten über Generationen hinweg Männer und Söhne beider Familien, mütterlicherseits als Kapitäne unterwegs und väterlicherseits als Händler und Vertreter, zwischen Wladiwostok und Hawaii, wo immer es ging, ihren kleinen Unterschied in exotische Schöße gebohrt. Aber das waren halt die Männer, und ihre Bastarde liefen auch niemals in Deutschland herum. Aber du als Frau! Auch heute noch war es das beste, rein in die Ehe zu gehen. Kochale hatten sie noch hingenommen, denn zum einen war er ja verlobt mit ihr und zum anderen ganz ihr Ideal als Mann: Ordentlich und strebsam und ein Unternehmersohn.
Doch nun!?
Auch wenn sie Tuğrul zehnmal mehr liebte und alles voll bejahte, was geschehen war – für ihre Leute in Jever war der Türke einer, der ihr Kind geschändet hatte, ihr blondes Gretchen, und der dafür (wenn die Welt noch in Ordnung gewesen wäre!) den Galgen verdient hätte – wie sie, Hanna, den Scheiterhaufen.
Sie haßte ihre Familie, wie sie das Mädchen Hanna haßte, das in dieser Familie so oft glücklich gewesen war. Jedes Geschenk, jeder Kuß von damals, das wußte sie jetzt, war auch ein Instrument gewesen, ein Trick, sie so zu machen, wie die anderen waren. Liebe und Zuneigung als Mittel der Unterdrückung. So werden wie die anderen: eng, berechnend, profitorientiert… Und doch waren Augenblicke dabei gewesen, so schön, daß ihr jetzt die Fahrbahn vor den Augen verschwamm, als sie daran denken mußte: Die Weihnachtsabende, die Geburtstage, die behüteten Abende zu Hause, wenn draußen der Schneesturm tobte…
Scheiße!
Sie riß sich zusammen und verdrängte die ‹gemütvollen Bilder›, wie Q-Müller das nannte. Was wäre gewesen, wenn…? Wenn sie Q-Müller nie begegnet wäre? Wenn sie nicht mit ihm und seiner Gruppe nach New York geflogen wäre? Wenn sie nicht nächtelang mit ihm im Hotelzimmer gesessen und diskutiert hätte? Ein Leben mit Jever und Kochale ist kein Leben… Wirklich?
Q-Müller, ihr großer Guru. Sie spottete ja selber darüber.
Dabei war es Quatsch, wenn Kochale ihr vorwarf, mit Q-Müller geschlafen zu haben. Für den, obwohl erst Mitte der Vierzig, gab es nichts, was für ihn weniger ‹innovativ› und ‹originell› gewesen wäre und was so wenig ‹gesellschaftsverändernd› wirkte wie ein GV. Reine Zeit- und Energieverschwendung. Man wußte ja eh, wie’s ausging; jedes Fußballmatch war spannender. Und da seine Frau, die gerade an ihrer Dissertation werkelte (Kongruente und konträre Orientierungen der Wandervogelbewegung und der «Grünen»), ebenso dachte wie er, ließen sie es, bei beiderseitiger Zufriedenheit, bei wenigen Akten per annum bewenden und verspürten auch keinerlei Lust zu außerhäuslicher Kopulation.
Hanna hatte Mühe, Q-Müller nach Ende ihrer Sitzung einen Augenblick allein zu sprechen; er war schon wieder auf dem Weg zum Flugplatz: Gastvortrag an der Uni Münster.
«Hast du nun mit Kochale geredet?»
«Nein…» Hanna mühte sich ein paar Sekunden zu lang mit ihrem Feuerzeug ab.
Mit einem ärgerlichen Kopfschütteln wedelte Q-Müller ihren Rauch beiseite; als fanatischer Asket, zumindest was das Rauchen und das Trinken anging, hatte er wenig Verständnis für diese Qualmerei.
«Angst?»
«Sein Jähzorn… Du kennst das ja nicht!»
«Nun ja – Theo! Immerhin ist sein bester Freund von einem Türken erstochen worden…»
«Eben.»
Q-Müller sah auf die Uhr. «Und nun?»
«Alles langsam einschlafen lassen. Wenn er anruft, nehm ich nicht ab – oder bin krank, hab keine Zeit… Obwohl er nicht sonderlich sensibel ist, weiß Gott nicht, aber mal wird er schon merken, daß es aus ist.»
«Ich bin immer für ein klares Wort.»
«Aber nicht face to face. Seine Rigidität, seine Eifersucht – nicht ausgeschlossen, daß er mit’m Messer auf mich losgeht. Was hat er denn noch zu verlieren?»
«Dann ruf ihn an», forderte Q-Müller.
«Schaff ich nicht.»
«Dann
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