Feuer fuer den Grossen Drachen
überwiegend Namen mit vielen ö und ü darinnen, Kücükbenki, Önal oder Dönmez; wenig Deutsches nur noch, Rentner und Studenten, Freaks und Ausgeflippte.
An den Wänden Parolen der MPH und ihrer ‹Kulturverein›. Hanna las nur immer Basburg, und sie wußte, daß das ‹Führer› hieß und Al parslan Türkeş meinte, den Chef der rechtsradikalen Milliyetçi Hareket Partisi, der Partei der Nationalistischen Bewegung.
«Lies mal», bat sie Tuğrul.
Der hatte wenig Lust dazu und sagte nur, daß es ein Aufruf einer der Berliner Moscheen sei. Aber dann las er doch: «Aufruf an die Welt des Islam – Erwache! Eltern, haltet Eure Kinder fern von den Freizeitheimen des Berliner Senats! Diese Heime sind Brutnester für Prostitution, Heroinhöllen und Herbergen für Lesbierinnen. Der Deutsche hat die Absicht, die islamischen Familiennormen zu vernichten und die gesamte islamische Kultur mit der seinen zu verschmelzen, um dann aus dieser Masse Straßenmädchen zu produzieren…»
Hanna fühlte sich getroffen und reagierte aggressiv. «Dann brauchen sich die deutschen Straßenmädchen nicht mehr in den türkischen Gastarbeiterunterkünften rumreichen zu lassen!»
Tuğrul blieb stehen. «Wessen Schuld ist denn das, daß die hier sind ohne ihre Frauen? Wessen Schuld ist es, daß in der Türkei keine Industrie entstanden ist? Wer wollte den Markt für sich allein, wer braucht denn hier billige Arbeitskräfte für eure Dreckarbeit? Eure Kapitalisten!»
Damit ging er weiter, langsam, tastend, vorsichtig. Erst als er die dunkle Treppe, die ins Vorderhaus hinaufführte, ebenso im Auge hatte wie den Eingang zur Portierswohnung, beschleunigte er seine Schritte wieder.
Schnitt bei Hanna. Gestern abend. Auf dem Bett.
«Oh, was hast du ‘n für ‘ne Narbe da?»
«Ach, nichts, laß mal.»
«Nu sag schon!» Sie hob die Hand hoch, die er auf seine linke Schulter gelegt hatte.
«Da bin ich mal als Kind vom Auto angefahren worden.»
«Quatsch, das ist doch ‘n Messerstich! Die ‹Grauen Wölfe›?» Sie küßte die Stelle.
«Ja, letzten November in der Oranienstraße…»
«Was habt ihr ‘n da gemacht?»
«Plakate geklebt für die FIDEF.»
«Was is’n das?»
«Föderation der Türkischen Arbeitervereine, alles was hier in Deutschland gegen den Faschismus kämpft.»
«Sei bloß vorsichtig!»
«Ja, ja…»
Ende der Rückblende. Schnitt.
Auf was hast du dich da bloß eingelassen! Mach Schluß mit ihm! Besser in Jever leben als in Kreuzberg sterben…
Quatsch. Weiter!
Auf dem winzigen Innenhof spielten fünf tugrul-schwarze Türkenkinder Kö şe kapma ca, ein Eckenspiel mit mächtig viel Gerenne.
Hammelduft und Knoblauch, schwarze Kopftücher an den Fenstern, zerfetzte Werbezettel auf türkisch (I kea mobilyaları neden ucuz, biliyormusunuz?) , ein überlauter Engin Basaria von einer Cassette, der türkische Udo Jürgens, wie Hanna schon wußte.
Sie stiegen die ausgelatschten Treppen hinauf zum Seitenflügel, vierte Etage. Wer war da wohl schon alles hinaufgestiegen in den über hundert Jahren, die das Haus schon stehen mochte? Der Franz Bieberkopf vielleicht, oder der Wolfgang Pagel aus Falladas Wolf unter Wölfen? Arbeiter und kleine Soldaten, Dienstmädchen und Nutten, Zuhälter und gefeuerte Ladenschwengel, Kommunisten, Nazis und Reichsbannerleute. Und wen sie wohl alles hinuntergetragen hatten, krank oder tot?
Nun ging Tuğrul Önal vor ihr her, aus Izmir in der Türkei, früher Smyrna. Und vor anderthalb Jahren hatten zwei Kripoleute seinen Bruder hier hinuntergeführt, den Ismail, der nun und noch für einige weitere Monate im neuen Ausländerknast steckte.
Ismails Name war in Q-Müllers Listen aufgetaucht, und so war sie zu den Önals gekommen.
Sie ließ sich noch einmal durch den Kopf gehen, was sie bei ihrem ersten Besuch notiert hatte: Önal hatte ein Lebensmittelgeschäft (Bakkal) in Izmir. – 1975 Pleite gemacht, 1977 nach Berlin gekommen. Drei Jahre Keksfabrik, jetzt arbeitslos. Streng religiös; Traditionalist. Für Rückwendung vom Westen bis hin zur Abschaffung der von Atatürk eingeführten lateinischen Buchstaben und der modernen Kleidung. Seine Frau ist froh, in Berlin zu sein. Arbeit bei Siemens, Löterin. Spricht einigermaßen Deutsch, er kaum. – Kinder: Ayşe, 11, kaum von deutschen Mädchen zu unterscheiden, dauernd Ärger mit dem Vater. Ismail, 18, vom Vater ‹verstoßen›, seit er im Knast ist. Mutter besucht ihn heimlich. Tuğrul, 27, Diplom-Politologe, seit kurzem eigene
Weitere Kostenlose Bücher