Feuer fuer den Grossen Drachen
Motorradparade in der Innenstadt, Rede des Berliner Rockerpfarrers vor der Gedächtniskirche.
Dann zwei Stunden Drill bei Hock, einschließlich der Arbeit in der Folterkammer, wie der Kraftraum allgemein hieß.
Kochale suchte nach einer Gelegenheit, für ein paar Minuten in die Umkleidekabine zu schlüpfen. Sie ergab sich, als er mit Mac zusammenprallte, an der Oberlippe zu bluten begann und die Erlaubnis erhielt, die Sache mit kaltem Wasser wieder in Ordnung zu bringen.
Zum Waschraum, zur Umkleidekabine. Im Nu hatte er sich Hocks Lederjacke gegriffen. Seine eigenen Sachen hingen unmittelbar daneben – falls wirklich jemand kam.
Brieftasche, Portemonnaie, Schlüssel; ein kleines schwarzes Notizbuch… Aha! Die Telefonnummern. Alle Adressen (Name, Vorname, Wohnanschrift, Rufnummer) schön säuberlich geschrieben, Druckbuchstaben. Er überflog sie alle. Nichts Auffälliges dabei; kein Name, den er kannte. Offenbar alles Kollegen und Verwandte. Schon wollte er das Notizbuch wieder zurückstecken, da entdeckte er unter G eine Nummer, die ganz für sich allein dastand, die zu keinem Namen gehörte: 826… Das war doch Grunewald, die ersten drei Ziffern ihrer alten Nummer! Komisch. Wie kam ein kleiner Beamter wie Hock zu Kollegen oder Verwandten, die im Villenbereich Grunewald wohnten?
Kochale prägte sich die Nummer ein und blätterte, ehe er das Notizbüchlein wieder zurücksteckte, noch schnell Hocks Termine der letzten Wochen durch. Fast alles Eintragungen, die den Schichtwechsel im Knast betrafen, und anderes, was mit seinem Dienst zusammenhing. Dazu die Arbeit im MFC Moabit. Auch Geburtstagsfeiern, Kinobesuche etc. Das einzig Geheimnisvolle waren regelmäßige Treffs mit einem gewissen G. D. Nächstes Treffen: Freitag, 21 Uhr (bei G. D.).
Schritte auf dem Flur. Kochale machte, daß er in den Waschraum kam. Sekunden später stand Mac in der Tür, um sich um ihn zu kümmern.
Der Abend verging quälend langsam. Von der Turnhalle ging’s noch in die nächste Kneipe, zum «gemütlichen Beisammensein», die Kameradschaft («Das A und O meiner Truppe!») zu stärken. Unmöglich, sich davor zu drücken, ohne Verdacht zu erregen.
So war es fast Mitternacht, ehe Kochale endlich telefonieren konnte; von unterwegs, von einer Zelle aus – bis nach Hause hatte seine Geduld nicht mehr gereicht.
826… Wer war G. D.?
Zwei Groschen, es klappte.
«Guten Abend, hier ist der automatische Anrufbeantworter von Hans-Werner Mallwitz. Wenn Sie etwas mitteilen möchten, dann sprechen Sie bitte. Sie haben von jetzt ab…»
Hastig hängte Kochale wieder ein. Mallwitz, sein Chef. Mallwitz von M. & P. Taxenbetrieb und Internationale Spedition. Und der sollte mit Hock zusammenstecken, möglicherweise sogar den Ku-Klux-Klan of Germany leiten? Unsinn. M wie Mallwitz, nichts mit G. D.
Andererseits – Kochale fiel ein, daß Mallwitz oft in den USA gewesen war, in den Südstaaten; in den Büros waren allenthalben von ihm geschickte Ansichtskarten an die Wände gepinnt. Hm… M = G. D.? Nein. Aber er versteifte sich immer mehr darauf, daß das irgendwie zusammenhing.
In dieser Nacht, die unruhig war, qualvoll, fand er keine Antwort mehr, die fand er erst am nächsten Montag, und zwar in Kreuzberg, in der Amerika-Gedenkbibliothek am Halleschen Tor, als er sich in diversen Lexika Informationen über den Ku-Klux-Klan zusammensuchte.
… wird der Führer eines Verbandes des KKK gewöhnlich als Grand Wizard (Großer Zauberer) bezeichnet, während die Leiter der regionalen Untergruppen Grand Dragons (Große Drachen) genannt werden.
Mallwitz als G. D. als Großer Drache – im ersten Augenblick verblüffend, irreal, absurd; im zweiten aber schon ein wenig einsehbarer, wie Kochale fand: Kopieren wir nicht seit Jahrzehnten amerikanische Vorbilder? Ist nicht der immer stärker werdende Ausländerhaß der beste Nährboden für einen Ku-Klux-Klan of Germany? So was hat doch in der Luft gelegen, gerade in Berlin. Türken raus! Kreuzberger Türken = Südstaaten-Neger… Und Mallwitz war genau der Typ für solche Sachen.
Blieben immer noch einige Zweifel.
Gleichviel, nächstes Treffen Hocks mit dem Großen Drachen übermorgen, 21 Uhr, bei Mallwitz in der Villa. Wenn er wirklich letzte Gewißheit haben wollte, dann mußte er dabei sein, mußte er wissen, was da gesprochen wurde. Kelm vorher etwas zu sagen war witzlos. Aber wenn… Der würde vielleicht Augen machen! Nach diesem Erfolg, da mußte garantiert ein Dauerjob für ihn drin sein.
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