Feuer fuer den Grossen Drachen
jener Blackout-Momente, wo für ein paar Hundertstelsekunden alle Körperfunktionen total zum Erliegen kommen, sich die Welt voll und ganz in Unverständlichkeit aufzulösen beginnt.
Der Eimer mit dem Botulin war weg.
Hock…
Die Sicherheitsgruppe…
Der Firmenchef, Conradi…
Dubisch…
Allah, ein Wunder!
Es war lediglich ein Perser/Libanese/Afghane – wie sollte er die auseinanderhalten? –, der damit in die Küche wollte, offenbar in der Absicht, die Farbe erst mal zu verstecken und später zur Verschönerung seiner Zelle zu verwenden.
Kochale hinterher. Erwischt den Mann. Beschimpft ihn. Reißt ihm den Eimer wieder weg. Bringt den Schlüssel zu Dubisch zurück.
Dubisch hat ein fast schon pathologisches Namensgedächtnis und ist extra auf den Aktenboden gestiegen… Richtig!
«Sehnse ma hier, den Vorgang hier. Die Kochale Werkzeugmaschinen KG hat das Gebäude hier kaufen wollen, bevor es dann das Land Berlin erworben hat. Kochale, vor der Pleite – is doch Ihr Vater, nich?»
«Ja.»
«Isser imma noch nich wieda aufgetaucht?»
«Nee.»
Kochale verabschiedet sich und arbeitet wie ein Besessener. Sein Timing sieht vor, daß er genau in dem Moment an der Küche angekommen ist, in dem die Küchenhelfer den Thermobehälter für die Türkenstation D II/T (Langstrafler) auf den Flur stellen, weil er nicht rechtzeitig genug abgeholt worden ist.
Es wird unruhig in den einzelnen Flügeln, auf den einzelnen Stationen. Hunderte von Gefangenen werden ‹durchgeschlossen›. Ende der Arbeitszeit in den wenigen Werkstätten. Geschäfte werden abgewickelt. Ein Libanese verprügelt einen Türken, weil er annimmt, der habe ihm eine Lampe bauen, das heißt ihn verpfeifen wollen wegen ein paar Gramm Haschisch. Auf der Station D II/A geraten persische Schiiten und irgendwelche Sunken aneinander.
All das entnimmt Kochale den Zurufen vorbeirennender Beamter. Kochale registriert kommentar- und gedankenlos, wie sich die Synthese von Ordnung und Chaos unter gewaltiger Lärmentwicklung vollzieht.
Dann ist es soweit.
Dutzende von Thermobehältern werden weggeschleppt, nur Hocks Station bleibt übrig. Fluchend wird der blaue Kübel mit der weißen Aufschrift D II/T vom Küchenpersonal herausgetragen. Wie Eisschützen ihre Scheibe lassen sie ihn über den Betonboden rutschen, paßgenau in die Nische neben Kochales Eimern und Töpfen.
Schon ist er von der Leiter herunter. Ein Blick nach vorn, ein Blick nach hinten. Niemand zu sehen. Auch die Toilette ist frei.
Alles ist vorprogrammiert.
Jeder Griff sitzt. Der Mensch Kochale wird in diesen Sekunden zur Maschine und reagiert prompt auf die empfangenen Steuerungssignale.
Hock taucht auf, die Schlüssel klirren.
Kochale steht schon wieder auf der Leiter und spritzt mit Taiga 4 um sich.
Alles okay.
Der Thermobehälter wird weggetragen.
Dies waren die Sekunden, in denen Ismail, auf dem Boden seiner Zelle kniend, sein Gebet beendete –
«Glaubet an Allah und an seinen
Gesandten und eifert in Allahs
Weg mit Gut und Blut…
Er wird euch eure Sünden verzeihen
und euch in Gärten führen, durcheilt
von Bächen, und in gute Wohnungen
in Edens Gärten. Das ist die
große Glückseligkeit…
Und andere Dinge wird er euch geben,
die euch lieb sind – Hilfe von
Allah und nahen Sieg!»
Ismail erhob sich und trat auf den Gang hinaus. Die meisten seiner Landsleute lehnten in den halboffenen Zellentüren, scheinbar schläfrig. Einige feilschten um Kaffee und Tabak. Niyazi hatte angefangen, Ali und Bünyamin zu beschimpfen; sehr wortgewaltig und so laut, daß es der Beamte im ‹Cockpit› auf alle Fälle bemerken mußte. Alles sollte so sein wie immer. Vor der letzten Zelle stand Serdar und diskutierte mit einem Sozialarbeiter und dem Chef der SG-Gruppe; er sollte Manipulationen an seinem Radioapparat vorgenommen haben.
Hock als Gruppenbetreuer bzw. Aufsichtsbeamter, Grundler als Gruppenleiter (GL) bzw. Sozialarbeiter und Zebrowski von der Sicherheitsgruppe; Ismail wußte, daß sich eine derart günstige Konstellation nicht so schnell wieder ergeben würde.
Ein, zwei Blickkontakte, eine hingehauchte Frage: «Bıçak…» – «Evet!» – Es war also rechtzeitig gelungen, das in der Küche entwendete Messer unbemerkt an einem Bindfaden nach oben zu ziehen.
Hock kam, die Gittertür wurde aufgeschlossen, die beiden Träger knallten den Thermobehälter auf den steinernen Boden. Dies war das übliche Signal für die Türken, ihre Näpfe zu holen und sich in
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