Feuer fuer den Grossen Drachen
gewesen.
Kochale drückte die Hecktür nach oben, musterte kurz die Ladefläche (alles unberührt!) und suchte dann aus den Farbeimern denjenigen Behälter heraus, der die grünen Bohnen mit dem Botulin, dem Gift, enthielt. Es war ein ganz normaler Ein-Liter-Eimer, außen farbverkrustet, kinderladenbunt in Rot und Gelb und Grün.
Kochale trug ihn nach oben und stellte ihn neben seinen kleinen Gasherd. In der Speisekammer fand er zwei Konservendosen mit ganz normalen grünen Bohnen; sie waren sein bevorzugtes Schnellgericht. Er öffnete eine Dose, verteilte den Inhalt auf zwei schnell gegriffene Kochtöpfe und setzte alles auf die emporzüngelnden Gasflammen. In den einen der Töpfe, und zwar den etwas weniger gefüllten, kippte er dann eine ausreichend große Menge der vergifteten Bohnen und rührte sie unter… Seine Henkersmahlzeit? Jedenfalls wollte er’s warm genießen. Heiterkeit erfüllte ihn, Euphorie: Dies war sein Stil.
Weiter. Tempo. Action.
Hanna liebte Fondues, Fleisch wie Käse, liebte das Ritual, zur Verlobung hatte ihnen einer der Wurst machenden Brüder aus Jever ein Gerät geschenkt, wie gestohlen aus dem Schweizer Museum für Handwerks- und Heimatkunde: sechs brennofenbraune Tonschälchen auf schmiedeeisernem Drehgestell. Bei der Verteilung der angefallenen Geschenke auf beider Wohnstätten war es Kochale zugefallen, wohl in der Absicht, die Abende bei ihm gemütlicher zu gestalten. Statt Perlzwiebeln, Gürkchen, Sahnemeerrettich und diverser Saucen füllte er nun die vergifteten wie die unvergifteten Bohnen sorgfältig und mengengleich in die Schälchen und drehte das Karussell wieder und wieder – Kochales Roulette. Sechs Planeten, drei davon tödlich, rasten um eine ausgebrannte Sonne. Nach ein paar Runden ließ sich nichts mehr auseinanderhalten.
Nachdem er noch einen Bocksbeutel gefunden und geöffnet hatte, trug er alles ins Wohnzimmer hinüber und stellte es vor die Couchgarnitur. Lagerte sich, den Kopf auf den Ellbogen gestützt, wie Petronius etwa, und wollte anfangen. Hatte aber den Löffel vergessen. Wieder in die Küche hinaus. Vorhänge auf, Vorhänge wieder zu. Radio an, Radio wieder aus. Noch mal pinkeln gehen. Zum letztenmal? Alles, was er jetzt tat, konnte zum letztenmal sein… Papier und Kugelschreiber, für seinen Abschiedsbrief… An wen denn?
Scheiße.
Noch einmal ließ er die Schalen kreisen, entschied sich für die, die direkt vor ihm stehengeblieben war.
Okay.
Kochale schaufelte den Inhalt der ausgewählten Schale in sich hinein.
Und nun?
War das wirklich die letzte halbe Stunde seines Lebens – was war dann die angemessenste Beschäftigung? Sich betrinken? Damit begann er, aber es ging viel zu langsam. Außerdem durfte er’s nicht übertreiben – denn überlebte er, mußte er des Anschlags wegen handlungsfähig bleiben… Die Telefonseelsorge? Unsinn. Lesen, Radio hören, Schach spielen, gegen sich selbst? Quatsch. Durch ‘n Park laufen, bis er zusammenbrach – gegebenenfalls?
Das war’s.
Doch als er nach seinen Turnschuhen suchte, fielen ihm seine Filmspulen entgegen. Bis vor einem halben Jahr etwa hatte er wie ein Irrer gefilmt, alles und jeden.
Wie hieß es in den Berichten über Sterbende: Noch einmal zog sein Leben wie ein Film an ihm vorüber… Das konnte er auch haben. Vor kurzem erst hatte er auf einer 120-Meter-Spule all das vereint, was er in den letzten Jahren an Rausgeschnittenem gesammelt hatte: unter- und überbelichtete Filmmeter, verschwommene Gesichter wie abgeschnittene Köpfe, zu lange und zu kurze Szenen.
Projektor und Leinwand waren blitzschnell aufgebaut. Das war Ihr Leben. Film ab.
Hanna am Strand von Juist. Die Kamera von den Zehen her über den Körper. Hatte er wegen ihres überdimensionierten Venushügels und einiger hervorquellender Schamhaare rausschneiden müssen.
Schwenk von einem Kran aus über das familieneigene Werksgelände auf den nie fertig gewordenen Erweiterungsbau. Bild verrissen.
Sein Vater beim Richtfest. Der Rücken des Poliers vor der Optik.
Schnipsel ihrer New York-Reise.
Theo auf einer abgesägten Eiche im Grunewald, Denkmal spielend.
Einen Schluck für Theo.
Kochale trank den Wein wie Wasser. Sein linkes Augenlid begann zu zucken. Er fuhr hoch.
Das Botulin, Sehstörungen!
Er griff zum Telefon und riß die Schnur aus dem Apparat heraus.
Sein Atem ging etwas röchelnd. Atemstörungen.
Sein rechtes Bein war kraftlos geworden. Die ersten Lähmungserscheinungen.
Von da an, so Mallwitz, konnte es
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