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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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diesem trostlosen und hellschimmernden Hospiz, aus den vergitterten Fenstern dieses ungeheuren Gefängnisses tönte der lustige und unheimliche Chor herüber, zitterte, klang unsicher durch den von heiligem Schweigen erfüllten unermeßlichen Raum, wurde fast kindlich, zarter und leiser, und wollte verklingen, dann schwoll er wieder an, wurde lauter, schrill und beinahe gellend. Dann brach er ab, als rissen alle Stimmbänder gleichzeitig, erhob sich zu einem herzzerreißenden Schrei wie ein Hilferuf verirrter Schiffbrüchiger, die am Horizont ein Schiff vorüberstreichen sehen, wie das Geschrei Sterbender; die Stimmen erloschen, der Gesang verstummte, erklang nicht wieder.

     
    Welch herzzerreißende Süße in diesem November, der lächelte gleich einem Kranken, in dessen Leiden eine Pause eintritt und der weiß, daß es die letzte ist, und das Leben auskosten will, das jetzt, da er im Begriff es zu verlassen, ihm mit neuer Anmut seine zartesten Reize enthüllt, und dessen Tagesschlaf dem eines Kindes gleicht, das von süßer Milch gesättigt im Schoße des Todes einschlummert!
    »Sehen Sie dort unten die Euganeischen Hügel, Foscarina. Wenn der Wind sich erhebt, werden sie durch die Luft schweben wie Schleier, über unsere Köpfe weg. Ich habe sie niemals so durchsichtig gesehen ... Ich möchte einmal mit Ihnen nach Arqua gehen. Die Dörfer dort sind rosig wie die Muscheln, die man zu Myriaden im Erdreich findet. Bei unserer Ankunft werden die ersten Tropfen eines unerwarteten Sprühregens den Blüten der Pfirsichbäume einige Blätter rauben. Um uns vor der Nässe zu schützen, treten wir unter einen Bogen des Palladio. Dann suchen wir den Brunnen des Petrarca auf, ohne irgend jemanden nach dem Weg zu fragen. Wir nehmen die Rime mit, in der kleinen Ausgabe von Missirini, das kleine Büchlein, das immer neben Ihrem Bette liegt und das man jetzt nicht mehr schließen kann, weil es mit Pflanzen angefüllt ist wie ein Puppenherbarium ... Möchten Sie, daß wir an einem Frühlingstag nach Arqua gingen?«
    Sie antwortete nicht, aber sie blickte auf den Mund, der von so schönen Dingen sprach; und hoffnnngslos empfand sie den flüchtigen Genuß, den nur seine Stimme, seine Bewegung ihr bereitete. In diesen Frühlingsbildern lag für sie derselbe ferne Zauber wie in einer Sestine des Petrarca. Aber in die eine konnte sie ein Zeichen legen, um sie wieder aufzufinden, während die andern mit der Stunde entschwebten. ›Ich werde nicht aus diesem Brunnen trinken,‹ wollte sie antworten, aber sie schwieg, um sich ohne Herzenskampf umschmeicheln zu lassen. ›O ja, täusche mich; treibe dein Spiel, mache mit mir, was du willst.‹
    »Da ist San Giorgio in Alga. Bald sind wir in Fusina.«
    Sie glitten vorüber an der kleinen befestigten Insel mit ihrer marmornen Madonna, die sich beständig im Wasser spiegelt, wie eine Nymphe.
    »Warum sind Sie so weich gestimmt, meine Freundin? Nie, niemals habe ich Sie so empfunden. Es ist, als sei ich im Himmel heute mit Ihnen. Ich kann Ihnen nicht sagen, welches Gefühl unendlicher Harmonie mich heute in Ihrer Gegenwart überkommt. Sie sind hier neben mir, ich nehme Ihre Hand; und dennoch sind Sie auch verschmolzen mit dem Horizont, Sie sind der Horizont mit den Wassern, mit den Inseln, mit den Hügeln, die ich besteigen möchte. Als ich vorher sprach, schien es mir, als erzeuge jede Silbe in Ihnen solche Kreise, die sich ins Unendliche fortpflanzen, wie jene dort um das Blatt, das von dem in Gold getauchten Baum fiel ... Ist es so? Sagen Sie, daß es so ist! Oh, sehen Sie mich an.«
    Er fühlte sich von der Liebe dieser Frau umgeben wie von der Luft und dem Licht; er atmete in dieser Seele wie in einem Element und empfing von ihr eine so unsägliche Lebensfülle, als ginge von ihr und von dem Zenit des Tages ein gleicher Strom geheimnisvoller Dinge aus,der sich in sein übervolles Herz ergösse. Das Bedürfnis, das Glück zurückzugeben, das er empfing, erhob ihn zu einem Grad fast religiöser Dankbarkeit, der ihm Worte des Dankes und des Lobes einflößte, denen er Ausdruck verliehen haben würde, hätte er im Schatten vor ihr gekniet. Aber der Glanz des Himmels und der Wasser war so blendend rings umher geworden, daß er schwieg, wie sie es tat. Und für beide war es in dem Lichtglanz eine Minute wunderbaren Staunens, eine Minute der Gemeinsamkeit, es war eine kurze und dennoch unermeßlich weite Reise, auf der sie sich über die schwindelnden Entfernungen, die sie in ihrem Innern

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