Feuer (German Edition)
bargen, hinwegsetzten.
Das Boot stieg gegen das Ufer von Fusina. Zusammenfahrend blickten sie einander an mit den geblendeten Augen, und beide empfanden eine Art Verwirrung, die der Enttäuschung glich, als sie den Fuß auf die Erde setzten, als sie den öden Strand sahen, auf dem vereinzelt farblose Gräser wuchsen. Beiden wurden die ersten Schritte beschwerlich, sie fühlten das Gewicht ihres Körpers, das bei der dahingleitenden Überfahrt sich verringert zu haben schien.
›Er liebt mich also?‹ In dem Herzen der Frau erwachte mit der Hoffnung wieder die Qual. Sie zweifelte nicht, daß der Rausch des Geliebten aufrichtig wäre, daß seine Worte einer inneren Glut entsprächen. Sie wußte, wie er sich jeder Woge seiner Empfindung hingab und daß er der Heuchelei und Lüge unfähig sei. Mehr als einmal hatte sie ihn grausame Wahrheiten mit derselben einschmeichelnden, katzenartigen Anmut äußern hören wie sie gewisse in der Verführung erfahrene Menschen beim Lügen an sich haben. Sie kannte diesen klaren und geraden Blick gut, der zuweilen kalt und schneidend, aber niemals unaufrichtig werden konnte. Aber sie kannte auch die erstaunliche Schnelligkeit und Verschiedenartigkeit seines Fühlens und Denkens, die seinen Geist ungreifbar machten. Immer war etwas Wogendes, Flackerndes und Machtvolles in ihm, das in ihr die zwiefache Vorstellung erweckte von der Flamme und dem Wasser. Und sie wollte ihn fesseln, halten, besitzen! In ihm war immer eine unbegrenzte Lebensgier, fast als wäre jeder Augenblick für ihn der letzte und er stünde im Begriff, von der Freude und dem Weh des Daseins Abschied zu nehmen wie von den Liebkosungen und den Tränen eines Liebesabschiedes. Und sie wollte diese unersättliche Gier nur durch ihre einzige Speise an sich locken!
Was war sie für ihn anderes als die Erscheinung jenes »Lebens mit den tausend und abertausend Gesichten«, nach welchem, nach einem Bilde seiner Dichtung, das Verlangen unablässig »alle seine Thyrsusstäbe schwingt«? Sie war für ihn ein Motiv zu Visionen und Erfindungen, wie die Hügel, wie die Wälder, der Regen. Er trank aus ihr Geheimnis und Schönheit wie aus allen Erscheinungsformen des Universums. Und siehe, er hatte sich schon losgelöst, suchte schon nach neuen Empfindungen: seine kindlichen und lebhaften Augen forschten in der Runde nach dem Wunder, um zu staunen und anzubeten.
Sie blickte ihn an, ohne daß sein Gesicht sich ihr zuwandte, das gespannt die feuchten und nebligen Landstrecken betrachtete, über die sie der Wagen in langsamem Tempo fuhr. Hier war sie, jeder Kraft beraubt, nicht mehr imstande in sich und für sich zu leben, ihren eigenen Atem zu atmen, einen Gedanken zu verfolgen, der ihrer Liebe fremd war, zaudernd sogar, wo es galt, die Dinge in der Natur zu genießen, auf die er sie nicht hingewiesen, und sehnsüchtig harrend, daß er ihr seine Zuneigungen und seine Träume mitteilte, um diesen Gegenden ihr wehes Herz zuzuneigen.
Ihr Leben schien sich abwechselnd aufzulösen und zu verdichten. Ein Augenblick der Intensität war vorüber, und sie wartete auf den nächsten; und zwischen dem einen und dem andern hatte sie nur die Empfindung der Zeit, die entflieht, der Lampe, die sich verzehrt, des Leibes, der dahinwelkt, unendlicher Dinge, die verderben und vergehen.
»Meine Freundin, meine teure Freundin« – sagte Stelio plötzlich, sich umwendend und ihre Hand ergreifend, mit einer Rührung, die ihm allmählich bis zur Kehle gestiegen war und ihn erstickte – »warum sind wir an diese Orte gekommen? Sie scheinen so lieblich und bergen so viel Schrecken.«
Er heftete einen jener Blicke auf sie, die dann und wann in seinen Augen erschienen, wie eine plötzliche Träne, jenen Blick, der selbst das Geheimnis im Bewußtsein des andern berührte und bis in die tiefsten Tiefen des unbewußten Seins drang, ein Blick, tief wie der des Greises und tief wie der des Kindes: und sie erbebte, als wäre ihre Seele eine Träne in diesen Wimpern.
»Du leidest?« – fragte er sie mit angstvollem Mitleid, das die Frau erbleichen machte. – »Fühlst du dieses Entsetzen?«
Sie blickte um sich mit der Angst eines Menschen, der sich verfolgt sieht, und glaubte, aus den Feldern tausend unheilvolle Geister aussteigen zu sehen.
»Diese Statuen!« – sagte Stelio mit einem Ausdruck, der sie in ihren Augen zu Zeugen ihres eignen Verfalls verwandelte.
Und schweigsam dehnte sich das Land vor ihnen aus, als hätten die Bewohner es seit
Weitere Kostenlose Bücher