Feuer (German Edition)
und auch eines eigenen geheimen Willens, den sie sich klar und scharf erhalten mußte wie ein Schwert in der Scheide.
›Sie ist ihrer selbst sicher, sie ist Herr über ihre Kraft. Wenn sie sich frei fühlen wird, wird sie sich als Herrscherin offenbaren. Sie ist gemacht, die Männer zu unterjochen, ihre Neugier zu erregen und ihre Träume. Ihr Instinkt leitet sie, kühn und vorsichtig wie die Erfahrung ...‹ Und sie erwog die Haltung, die sie in jener Nacht dem jungen Mann gegenüber bewahrt hatte, die fast eigensinnige Schweigsamkeit, die kurzen und trocknen Worte und die Art, wie sie vom Tisch aufgestanden, wie sie den Speisesaal verlassen, um auf immer zu verschwinden, ihr Bild in dem Zirkel einer unvergeßlichen Melodie eingeschlossen lassend. ›Ach, sie versteht, die Seele des Träumenden zu verwirren! Gewiß, er kann sie nicht vergessen haben. Zweifellos wartet er sogar nur auf die Stunde, in der es ihm vergönnt sein wird, ihr wieder zu begegnen, und er ist ungeduldig wie sie, die mich fragt, wo er ist.‹
Sie nahm den Brief und durchflog ihn noch einmal. Aber ihr Gedächtnis eilte den Augen voran. Die rätselvolle Frage war am Ende der Seite wie eine Nachschrift, fast verborgen. Als sie die Schrift wiedersah, empfand sie dieselbe qualvolle Pein wie das erstemal. Und wieder krampfte sich alles in ihrem Herzen, als stünde die Gefahr unmittelbar bevor, als seien ihre Leidenschaft und ihre Hoffnung unwiederbringlich verloren. ›Was wird sie tun? Was war ihr Gedanke? Hatte sie vielleicht erwartet, daß er sie ohne Zaudern suchen würde, und nun enttäuscht, wollte sie ihn versuchen? Was wird sie tun?‹ Sie kämpfte gegen diese Ungewißheit wie gegen eine vergitterte Tür, hinter der sie das Licht ihres Lebens wiedererlangen könnte. ›Werde ich ihr antworten? Und wenn ich ihr so antworte, daß sie die Wahrheit begreift? Könnte meine Liebe für die ihre ein Hindernis sein?‹ Ihre Seele lehnte sich mit einer Empfindung des Widerwillens, der Scham, des Stolzes dagegen auf. ›Nie, niemals wird sie durch mich von meiner Wunde erfahren, nie, selbst wenn sie mich fragte.‹ Und sie empfand den ganzen Abscheu der offnen Rivalität zwischen der alternden Geliebten und dem jungen Mädchen, das stark ist in seiner unberührten Jugend. Sie empfand die Demütigung und die Grausamkeit des ungleichen Kampfes. ›Aber wenn es diese nicht ist‹ – sagte eine friedliche Stimme in ihrem Innern – ›würde es dann nicht eine andere sein? Glaubst du, daß du einen Mann seiner Art deiner traurigen Leidenschaft erhalten kannst? Unter einer einzigen Bedingung konntest du ihn lieben und ihm deine bis zum Tode treue Liebe darbieten, unter der Bedingung des Verbotes, das du verletzt hast.‹
»Du hast recht! Du hast recht!« flüsterte sie, als antwortete sie einer lauten Stimme, einem deutlichen Urteil, das in dem Schweigen von dem unsichtbaren Schicksal ausgespochen wurde.
›Unter einer einzigen Bedingung könnte er jetzt deine Liebe annehmen und anerkennen, unter der Bedingung, daß du ihn freigibst, daß du auf den Besitz verzichtest, daß du alles gibst, immer, und niemals etwas forderst, unter der Bedingung, daß du heroisch bist. Begreifst du?‹
»So ist es! So ist es!« – wiederholte sie, die Stirn erhebend, von der die Schönheit und Hoheit ihrer Seele widerstrahlte.
Aber das Gift nagte an ihr. Und alle ihre Sinne gedachten von neuem aller Liebkosungen. Der Mund, die Hände, die Kraft, das Feuer des Jünglings spürte sie in ihrem Blute, als hätten sie sich in ihr aufgelöst. Und sie blieb dort, regungslos in ihrem Leid, stumm in ihrem Fieber, sich an Leib und Seele verzehrend, gleich jenem rotgefleckten Weinlaub, dessen Ränder versengt zu werden schienen wie Papier, das man in die Glut wirft. Da schwebte eintöniger Gesang durch die Luft, erzitterte in der ungeheuren Stille: ein Lied von Frauenstimmen gesungen, die aus zerrissener Brust zu kommen schienen, aus Kehlen, die rissig waren wie schwaches Rohr, wie Töne klang es, die aus dem Innern alter Spinette mit zerrissenen Saiten erweckt werden, wenn eine Hand die abgenützten Tasten berührt, ein heiserer und schriller Gesang, mit einem vulgären und lustigen Rhythmus, der trauriger als die traurigsten Dinge im Leben in dieser Stille und diesem Licht berührte.
›Wer singt?‹
Mit einem seltsamen Gefühl der Rührung stand sie auf, näherte sich dem Ufer und lauschte:
›Es sind die Irren von San Clemente!‹
Von dieser Insel des Wahnsinnes, aus
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