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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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Schönheitspflästerchen, in Spielen mit einem Hündchen oder hinter einer süßen Speise – in der Verlassenheit und im Schweigen. Einige hatten das Aussehen einer menschlichen Ruine, mit den leeren Öffnungen, die blinden Augenhöhlen glichen, zahnlosen Mündern. Andere schienen beim ersten Anblick sich in Schutt und Staub auflösen zu wollen, wie die Haare der Verstorbenen, wenn man die Gräber aufdeckt, wie alte Kleider, die von Motten zerfressen sind, wenn man die lange verschlossenen Schränke öffnet. Die Umfassungsmauern waren niedergerissen, die Meiler zerbrochen, verbogen die Gitter, die Gärten von Küchenkräutern überwuchert. Aber hier und dort, in der Nähe und in der Ferne, überall, in den Obstgärten und zwischen den Weinstöcken, bei silbergrauen Kohlköpfen und zwischen den Gemüsen, inmitten grüner Weiden, auf den Haufen von Mist und Weintrebern, unter den Strohschobern, an der Schwelle der elenden Hütten, überall auf der zum Flußgebiet gehörenden Landstrecke ragten die übriggebliebenen Statuen auf. Zahllos waren sie, ein zerstreutes Volk noch weiß- oder grau- oder gelbschimmernd von den Flechten, oder grün von den Moosen, oder gefleckt, und in allen möglichen Stellungen und mit allen Gesten, Göttinnen, Helden, Nymphen, Jahreszeiten, Stunden, mit Bogen, mit Pfeilen, mit Girlanden, mit Füllhörnern, mit Fackeln, mit allen Emblemen der Macht, des Reichtums, der Wollust, Verbannte der Brunnen, der Grotten, der Irrgänge, der Lauben, der Säulenhallen, Freundinnen des immergrünen Buchsbaum und der Myrte, Beschützerinnen flüchtiger Liebeständeleien, Zeugen ewiger Schwüre, Traumgestalten, weit älter als die Hände, die sie geschaffen, und als die Augen, die sie in den verwüsteten Gärten angeschaut hatten. Und in dem süßen Sonnenlicht dieses verspäteten Novembersommers waren ihre Schatten, die allmählich über die Gegend sich verlängerten, wie die Schatten der unwiderruflichen Vergangenheit dessen, der nicht mehr liebt, der nicht mehr lacht, der nicht mehr weint, der niemals wieder leben, niemals zurückkehren wird. Und das stumme Wort auf ihren steinernen Lippen war dasselbe, das das unbewegliche Lächeln auf den Lippen der abgehärmten Frau sagte: « Nichts «. – – –
    Aber sie lernten an diesem Tage noch andere Schatten, andere Schrecken kennen.
    Beide waren jetzt von der tragischen Bedeutung des Lebens erfüllt; und umsonst versuchten sie gegen diese physische Traurigkeit anzukämpfen, in die ihr Geist von Minute zu Minute klarer und unruhiger blickte. Sie hielten sich bei der Hand, als schritten sie im Dunkel oder an gefährlichen Orten. Selten sprachen sie, aber dann und wann blickten sie einander in die Augen, und der Blick des einen ergoß in den des andern eine unbestimmte Woge, die nur das Entsetzen und die überquellende Liebe widerspiegelte. Aber ihre Herzen wurden nicht leichter.
    »Wollen wir weiterfahren?«
    »Ja, laß uns weiterfahren.«
    Sie hielten sich fest an der Hand, als gälte es eine seltsame Probe zu bestehen, entschlossen zu prüfen, wie weit die Kräfte ihrer gemeinsamen Melancholie reichen könnten. Bei Dolo knisterten die Kastanienblätter, mit denen die Straße bedeckt war, unter den Rädern, und die Kronen der großen herbstlich gefärbten Bäume flammten auf wie Purpurvorhänge, die sich entzündeten. In einiger Entfernung tauchte einsam und verlassen, inmitten ihres kahlen Gartens, die Villa Barbariga auf, rötlich schimmernd, mit den Spuren der alten Malereien in den Mauerrissen der Fassade, wie Zinnoberreste in den Runzeln einer alten Courtisane. Und mit jedem Blick verschwammen die Fernen der Landschaft mehr und färbten sich bläulich, wie Dinge, die im Wasser untertauchen.

    »Wir sind in Strà.«
    Sie stiegen vor der Villa der Pisani aus und traten ein; begleitet von dem Pförtner besuchten sie die verlassenen Gemächer. Sie hörten den Schall ihrer Schritte auf dem Marmor, der sie widerspiegelte, den Widerhall in den mit historischen Gemälden geschmückten Wölbungen, das stöhnende Kreischen der Türen, die man öffnete und wieder schloß, die eintönige Stimme, die die Erinnerungen heraufbeschwor. Die Räume waren groß, mit verblichenen Stoffen drapiert, geschmückt im Stil des Kaiserreichs, mit den napoleonischen Emblemen. In einem Zimmer waren die Wände mit den Bildnissen der Pisani, der Prokuratoren von San Marco, bedeckt; in einem anderen mit den Marmormedaillons aller Dogen; in einem anderen Zimmer schmückten die Wände

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