Feuer (German Edition)
grausamen Grafen ... So vieles, das ich nicht kannte, nicht verstand in meiner kleinen, mißbrauchten Seele; und ich weiß nicht, welcher Instinkt des Schmerzes mich leitete, die Töne und die Schreie des Schmerzes zu finden, die diese armselige Menge erschüttern sollten, von der wir das tägliche Brot erwarteten. Zehn hungrige Menschen vergewaltigten meine Seele, nutzten mich als ihre Erwerbsquelle aus; die brutale Not raubte und vernichtete alle Blütenträume, die meiner zitternden Frühreife entsprossen ... Es war eine Zeit des verhaltenen Schluchzens, eine Zelt des Entsetzens, der verzweifelten Müdigkeit und Erschöpfung, eine Zeit blinden Schauders! Und die mich folterten, wußten nicht, was sie taten. Arme, durch Sorgen und Elend abgestumpfte Menschen. Gott verzeihe ihnen und gebe ihnen Frieden! Nur meine Mutter, Stelio, die auch
Weil sie so viel und man sie wenig liebte,
Unglücklich lebte und starb, –
nur meine Mutter hatte Mitleid mit meiner Qual und litt mit mir und wußte, mich in ihren Armen haltend, mein furchtbares Bangen zu beruhigen, mit mir zu weinen, mich zu trösten. Gesegnet sei sie! Gesegnet!«
Ihre Stimme versagte. In ihrem Innern taten sich wieder die mütterlichen Augen auf, milde und fest blickten sie, wie ein unendlicher Horizont des Friedens. »Sage mir, sage du mir, was ich tun soll! Leite mich, lehre mich, du Wissende!« Mit ihrer ganzen Seele fühlte sie wieder den innigen Druck dieser Arme; und der Schmerz jener fernen Jahre flutete voll und ganz zu ihr zurück, aber ohne Bitterkeit, fast einem wohltuenden Gefühl gleichend. Die Erinnerung an den Kampf und die Qualen schien sie wie eine warme Woge zu durchströmen, sie zu trösten, zu erheben. Auf welchem Amboß war das Eisen ihres Willens geschmiedet, in welchen Wassern war es gestählt worden! Wahrlich, hart war die Prüfung für sie gewesen, schwer der Sieg, den Mühe und Ausdauer gegen rohe und feindliche Gewalten erfochten hatten. Sie war Zeuge des tiefsten Jammers, des grausamsten Elends gewesen; sie hatte die heroischsten Anstrengungen, das Mitleid, Entsetzen, die Schwelle des Todes gekannt.
»Ich kenne den Hunger, Stelio, und ich weiß, was es heißt, noch keine sichere Unterkunft zu haben bei einbrechender Nacht« – sagte sie mit süßer Stimme, zwischen den beiden Mauern stehenbleibend.
Und sie schlug den Schleier in die Stirn zurück und blickte ihren Freund mit freien Augen an.
Er erblaßte unter diesem Blick, so plötzlich war seine Erregung, so ungestüm sein Schrecken bei dem unerwarteten Anblick. Er war verwirrt, wie in unzusammenhängenden Traumzuständen, unfähig, diese seltsame Erscheinung mit den eben getanen Lebensäußerungen in Einklang zu bringen, außerstande, die Bedeutung dieser Worte auf dieselbe Frauenerscheinung zu übertragen, die ihm hier zulächelte, das zarte Glas noch zwischen ihren nackten Fingern haltend. Und dennoch hatte er sie gehört; und sie war hier in ihrem schönen Mantel aus Zobelpelz, mit dem süßen Blick ihrer schönen Augen, die sich in den Wimpern verlängerten, wie umflort von einer Träne, die unablässig aufstieg und, ohne zu fließen, sich auflöste, hier auf dem einsamen Weg zwischen den beiden Mauern.
»Und ich weiß noch mehr.«
Sie empfand eine ungewohnte Erleichterung, indem sie so sprach. Diese Selbstdemütigung schien ihr Herz zu stärken, wie eine Handlung ungestümen Wagemutes. Das Bewußtsein ihrer Macht und ihres Weltruhms hatte sie niemals angesichts des Mannes, den sie liebte, als etwas Erhebendes empfunden; aber jetzt erzeugte die Erinnerung an ihre dunkle Leidenszeit, an diese ihre Armut, an ihren Hunger in ihr ein Gefühl tatsächlicher Überlegenheit über ihn, den sie für unbesiegbar hielt. Wie zum erstenmal, an dem Ufer der Brenta, seine Worte ihr leer erschienen waren, so fühlte sie jetzt zum erstenmal in ihrer Lebenserfahrung sich stärker als er, dem alles Glück schon von der Wiege an gelächelt hatte, und der keine anderen Qualen kannte als die Leidenschaften seiner Begierde und die Seelenkümmernisse seines Ehrgeizes. Sie stellte sich ihn vor, dem Mangel ausgesetzt, zu beschwerlicher Arbelt gezwungen wie der Sklave, durch materielle Entbehrungen zu Boden gedrückt, der gemeinen Not unterworfen.
– Ob er die Kraft zum Widerstand gefunden haben würde, die Geduld zum Ertragen? – Er erschien ihr schwach und ratlos in den festen Klammern der Notwendigkeit, erniedrigt und zerschmettert. »Ach, für dich alle heiteren und erhabenen Dinge,
Weitere Kostenlose Bücher