Feuer (German Edition)
so lange du lebst, so lange du lebst!« Aber sie konnte das Trostlose dieser Vorstellung nicht ertragen, sie wies sie von sich in einem Ausbruch fast mütterlicher Liebe, als müßte sie ihn verteidigen, in Schutz nehmen. Und mit einer unwillkürlichen Gebärde legte sie eine Hand auf seine Schulter; sie zog sie zurück, als sie sich dessen bewußt wurde, dann tat sie es wieder. Sie lächelte wie jemand, der wußte, was er niemals erfahren durfte, wie jemand, der überwunden hatte, was er nie hätte überwinden können. In ihrem Innern hörte sie wieder die eindringlichen Worte eines furchtbaren Versprechens. »Sage mir, daß du dich nicht fürchtest zu leiden ... Ich halte deine Seele für fähig, den ganzen Schmerz der Welt zu ertragen.« Ihre Augenlider, den Veilchen gleichend, senkten sich über diesen geheimen Stolz. Aber auf ihren Gesichtszügen erschien eine unendlich feine und vollkommene Schönheit, der Ausfluß eines neuen Einklanges ihrer inneren Kräfte, eines geheimnisvollen Sichzurechtfindens der erschütterten Willenskraft. In dem Schatten, den die Falten des bis auf die Augenbrauen zurückgeschlagenen Schleiers warfen, beseelte ein unnachahmliches Leben ihre Blässe.
»Ich fürchte kein Leiden« – antwortete sie ihm, der an dem Ufer des fernen Flusses gesprochen hatte.
Und ihre Hand von seiner Schulter nehmend, streifte sie leise die Wange des Freundes, der begriff, daß sie auf jene vor langer Zeit gesprochenen Worte antwortete.
Er schwieg, berauscht, fast, als hätte sie ihm das Innerste ihres Herzens, ausgepreßt wie eine Traube, in diesem Kelchglas zu trinken gegeben.
Von all den natürlichen Erscheinungsformen rings umher schien ihm in dem strahlenden Lichte keine der geheimnisvollen Schönheit dieses Menschenangesichts gleichzukommen, durch dessen Züge eine tiefe und heilige Seele leuchtete, auf deren Grunde sich zweifellos etwas Großes stillschweigend vollzogen hatte. Er zitterte in der Erwartung, daß sie fortfahren würde.
Sie schritten eine Weile Seite an Seite nebeneinander her zwischen den beiden Mauern. Der Weg war schlecht, steinig und schlüpfrig unter den Füßen. Aber darüber hingen die leuchtenden Wolken. Sie gelangten an einen Kreuzweg, an dem ein von Armen bewohntes Haus stand, das fast baufällig war. Die Foscarina blieb stehen, um hineinzublicken. Die wurmstichigen und zerbrochenen Laden wurden durch ein dazwischengeklemmtes Bambusrohr künstlich offen gehalten. Die tiefstehende Sonne beleuchtete die rußgeschwärzte Wand und ließ das Hausgerät sehen: einen Tisch, eine Bank, eine Wiege.
»Erinnern Sie sich, Stelio« – sagte sie – »an das Wirtshaus, in das wir in Dolo eintraten, um auf den Zug zu warten? Das Gasthaus zur Flamme ? Unter dem Rauchfang brannte ein großes Feuer; die Küchengeräte funkelten an der Wand, die Polentascheiben bräunten sich auf dem Rost. Vor zwanzig Jahren war es genau dasselbe: dasselbe Feuer, dieselben Geräte, dieselbe Polenta. Ich und meine Mutter, wir traten dort nach der Vorstellung ein, setzten uns auf eine Bank an einen Tisch. Ich hatte im Theater geweint, gebrüllt, gerast und war an Gift oder durch den Dolch gestorben. In meinen Ohren tönte noch der Rhythmus der Verse, wie von einer Stimme, die nicht die meine war, und in meiner Seele fühlte ich einen fremden Willen, von dem mich zu befreien mir nicht gelang; wie eine Gestalt, die ohne mein Dazutun noch versuchte, gewisse Schritte zu machen und gewisse Gesten ...
Die Lebensverstellung blieb an meinen Gesichtsmuskeln haften, die sich an gewissen Abenden nicht beruhigen wollten ... Die Maske, das Gefühl der lebendigen Maske, das schon in mir keimte ... Ich öffnete die Augen, soweit ich konnte ... Ein hartnäckiges Frostgefühl in den Haarwurzeln verblieb mir ...
Ich vermochte nicht das volle Bewußtsein meines eigenen Selbst wiederzuerlangen, noch dessen, was in meiner Umgebung geschah ... Der Küchengeruch verursachte mir Ekel; das Essen auf dem Teller erschien mir zu derb, schwer wie Kieselsteine, unmöglich hinunterzuschlucken. Dieser Widerwille entsprang einem unsagbar zarten und feinen Gefühl, das ich im innersten meiner Müdigkeit empfand, einer unbestimmten Vornehmheit, die ich im Grunde meiner Erniedrigung fühlte. Ich weiß nicht ... Vielleicht war es die dunkle Gegenwart jener Kraft, die sich später in mir entwickeln sollte, jener Auserlesenheit und Mannigfaltigkeit, zu der die Natur mich berufen hatte ... Zuweilen wurde das Gefühl meiner Besonderheit so
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