Feuer (German Edition)
Glieder krampfhaft zusammenzuziehen.
»Ich bin frei; ich gehöre Ihnen« – antwortete der junge Mann mit leiser Stimme, ohne sie anzusehen. – »Sie wissen, daß für mich nichts dem gleichkommt, was Sie mir geben können.«
Auch er erbebte im Innersten seines Herzens, da er die beiden Ziele vor sich sah, nach denen an diesem Abend seine Kraft sich spannte wie ein Bogen: die Stadt und das Weib, beide verführerisch und unergründlich, müde vom zuviel leben, niedergedrückt vom zuviel lieben, und von ihm im Traum allzu sehr verherrlicht, und bestimmt, seine Erwartungen zu enttäuschen.
Für einige Augenblicke blieb seine Seele überwältigt von einer anstürmenden Flut von Bekümmernissen und Wünschen. Der Stolz und der Widerwille gegen seine harte und ausdauernde Arbeit, sein zügelloser und maßloser, in ein zu enges Feld gezwungener Ehrgeiz, seine bittere Unduldsamkeit gegen die Mittelmäßigkeit im Leben, sein Anspruch auf die Privilegien der Fürsten, die in ihm schlummernde Neigung zur Tat, die ihn der Menge als der besseren Beute zutrieb, der Traum einer größeren und gebieterischen Kunst, die einst in seinen Händen zum Signal des Lichts und zum Werkzeug der Unterjochung werden sollte, alle seine hochfliegenden und purpurnen Träume, alle seine unersättlichen Begierden nach Herrschaft, nach Ruhm und nach Genuß, stiegen in ihm auf, wirbelten wild durcheinander, blendeten und erstickten ihn. Und eine lastende Traurigkeit zog ihn zu der Liebe dieser einsamen und unsteten Frau, die für ihn in den Falten ihrer Kleider, stumm und gefaßt, die Raserei der fernen Menge zu tragen schien, aus deren kompakter Vertiertheit sie durch einen Schrei der Leidenschaft oder eine herzzerreißende Wehklage oder ein tödliches Schweigen den blendenden und göttlichen Schauer der Kunst geweckt hatte, ein unreines Verlangen trieb ihn zu dieser wissenden und verzweifelten Frau, in der er die Spuren aller Wollust und aller Seelenschmerzen zu entdecken glaubte, und zu diesem nicht mehr jungen Körper, der, erschlafft von all den Liebkosungen, ihm bisher unbekannt geblieben war.
»Ein Versprechen?« – sagte er, gesenkten Hauptes, ganz in sich zurückgezogen, um seine Bewegung zu bemeistern. – »Endlich!«
Sie antwortete nicht; aber sie heftete einen Blick auf ihn, aus dem eine fast wilde Glut brannte. Er sah ihn nicht.
Sie blieben im Schweigen, während das Dröhnen des Erzes mit solcher Stärke über ihre Häupter zog, daß sie meinten, es an den Wurzeln ihrer Haare zu fühlen wie einen körperlichen Schmerz.
»Leben Sie wohl« – sagte sie bei der Landungsstelle. – »Wir treffen uns beim Hinausgehen im Hof, beim zweiten Brunnen nach der Seite des Molo.«
»Leben Sie wohl« – sagte er – »und richten Sie es so ein, daß ich Sie unter der Menge herausfinde, wenn ich das erste Wort spreche.«
Ein wirrer Lärm drang von San Marco mit dem Läuten der Glocken herüber, breitete sich aus nach der Piazetta und verschwebte der Fortuna zu.
»Alles Licht auf Ihre Stirn, Stelio!« – wünschte ihm die Frau und reichte ihm mit leidenschaftlicher Gebärde ihre mageren Hände.
Als Stelio Effrena durch die südliche Tür in den Hof eintrat und die Scala dei Giganti besetzt fand von einer schwarz-weißen Menge, die sich auf und ab bewegte bei dem rötlichen Licht der in den eisernen Kandelabern befestigten Fackeln, empfand er einen plötzlichen Widerwillen und blieb im Torgang stehen. Er fühlte aufs schärfste den schreienden Gegensatz dieser mesquinen Eindringlinge zu diesen durch die ungewohnte Beleuchtung noch erhabener wirkenden Architekturen, in denen sich in so verschiedenartigen Harmonien die Kraft und die Schönheit der vergangenen Zeit offenbarten.
»O Jammer!« – rief er aus, sich zu den Freunden wendend, die ihn begleiteten – »Im Saale des Großen Rates, von der Loge des Dogen herab, ein paar Gleichnisse zu finden, um tausend gestreifte Vorhemden zu rühren! Laßt uns umkehren: wir wollen den Atem der andern Menge, der wahren Menge spüren. Die Königin hat den Palast noch nicht verlassen. Wir haben Zeit.«
»Bis ich dich nicht auf dem Podium sehe« – sagte lachend Francesco de Lizo- »bin ich nicht sicher, daß du sprechen wirst.«
»Ich glaube, Stelio würde die Loggia dem Throne vorziehen und lieber zwischen den beiden roten Säulen zu dem aufrührerischen Volke reden, das drohte, Feuer an die neuen prokurazien und die alte Bibliothek zu legen« –sagte Piero Martello, der der Vorliebe des
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