Feuer (German Edition)
vollendet hat.«
Wieder erstand das Bild des barbarischen Schöpfers vor ihm: die blauen Augen glänzten unter der geräumigen Stirn, die Lippen voll Sinnlichkeit, Stolz und Verachtung waren fest geschlossen über dem kräftigen Kinn. Dann sah er wieder die weißen Haare, die der rauhe Wind auf dem greisen Nacken, unter der breiten Krempe des Filzhutes, hin und her bewegte, und das beinahe leichenfarbene Ohr mit dem geschwollenen Läppchen. Und er sah wieder den regungslosen Körper auf den Knien der Frau mit dem schneebleichen Gesicht und das leise Zittern, das einen der herabhängenden Füße erschütterte. Er dachte zurück an jenen unauslöschlichen Schauer von Schreck und von Freude, als er plötzlich unter seinen Händen das geheiligte Herz von neuem hatte pochen fühlen.
»Ach, nicht vor meinem Geist, sollte ich sagen; sondern ich fühle mich ganz durchdrungen von ihm. Zuweilen ist's wie ein Ozean im Sturm, der mich in seinem Wirbel fortzureißen und zu verschlingen droht. Mein Temódia ist ein Granitfelsen im hohen Meer, und ich bin wie ein Künstler, der dort mitten in den stürmenden Fluten einen reinen dorischen Tempel erbaut, dessen Säulenordnungen er gegen den Ansturm verteidigen muß, den Geist unaufhörlich intensiv gespannt, um in diesem donnernden Tosen niemals den intimen Rhythmus zu verlieren, der allein die Abstände seiner Linien und Räume bestimmen kann. Auch in diesem Sinne ist meine Tragödie ein Kampf.«
Er sah den Patrizierpalast vor sich, wie er ihm in dem ersten Morgenrot jenes Oktobermorgens erschienen war, mit den Adlern, den Rennern, den Amphoren und Rosen, stumm und verschlossen wie ein hohes Grabgewölbe, während über dem Dache der Himmel aufflammte im Hauche der Morgenröte.
»Als ich an jenem Morgen« – fuhr er fort – »nach der Nacht des Entzückens, durch den Kanal fahrend, eine Gartenmauer streifte, pflückte ich in den Fugen der Ziegelsteine ein paar violette Blumen und ließ die Gondel vor dem Palazzo Vendramin halten, um sie vor die Tür zu werfen. Die Gabe war allzu gering, und ich dachte an Lorbeeren, Myrten und Zypressen. Aber in diesem spontanen Tun drückte sich unwillkürlich meine Dankbarkeit aus gegenüber demjenigen, der meinem Geiste die Notwendigkeit auferlegen sollte, in seinem gewaltigen Freiheits- und Schaffensdrang heroisch vorzugehen.«
Mit einem plötzlich aufsteigenden Lachen wandte er sich an den hinten sitzenden Ruderer.
»Erinnerst du dich an die Wettfahrt, Zorzi, die wir eines Morgens anstellten, um die Schifferbarke zu erreichen?«
»Ob ich mich erinnere! Das war 'ne Fahrt! Mir tun heut noch die Arme weh davon! Und der gesunde Hunger, den Ihr damals hattet, Herr! Jedesmal, wenn ich den Schiffpatron sehe, fragt er mich nach dem Fremden, der mit dem Korb voll Feigen und Trauben an Bord kam ... Er sagt, daß er den Tag nie vergessen würde, denn da hat er den schönsten Fischzug seines Lebens getan. Er hat eine solche Unmasse herausgezogen, wie er's noch nie erlebt hat...«
Der Schiffer unterbrach sich erst in seinem Redefluß, als er bemerkte, daß der Herr nicht mehr hinhörte, und daß es angezeigt wäre, zu schweigen und sogar den Atem anzuhalten.
»Hörst du den Gesang?« fragte Stelio die Freundin, sanft eine ihrer Hände ergreifend, denn es tat ihm leid, daß er diese Erinnerung, die ihr Schmerz verursachte, neu belebt hatte.
Aufblickend fragte sie:
»Wo ist er? Im Himmel? Auf Erden?«
Eine unendliche Melodie ergoß sich über den weißen Frieden.
Sie sagte:
»Wie er emporsteigt!«
Sie fühlte die Hand ihres Freundes zucken.
»Als Alexander in das lichterfüllte Gemach kommt, in dem die Jungfrau Antigones Klage gelesen« – sagte er, mit Bewußtsein einen Teil der dunkeln Arbeit ergreifend, die sich in seinem Unbewußten fortwährend vollzog – »erzählt er, er sei durch die Ebene von Argos geritten und habe den Inacus, den Fluß mit den verbrannten Kieselsteinen, überschritten. Das ganze Land ist bedeckt mit kleinen wilden Blumen, die dahinsterben; und Lerchengesang erfüllt den ganzen Himmel... Tausende von Lerchen, eine zahllose Menge... Er erzählt, daß eine davon plötzlich seinem Pferde vor die Füße gefallen ist, schwer wie ein Stein, und dort liegen geblieben ist, stumm, getötet von ihrem Rausche, von dem Übermaß ihres jubelnden Gesanges. Er hat sie aufgenommen. ›Hier ist sie.‹ Du streckst nur die Hand nach ihm aus, nimmst sie und murmelst ›o, sie ist noch warm ...‹ Während du sprichst, zittert die
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