Feuer (German Edition)
Stimme kennen zu lernen, losgelöst von der Weihe des Gesanges. Aber seine Schmeichelei verlor sich in dem erneuten Geschrei der Menge, die sich über den Molo ergoß und jedes Verweilen unmöglich machte. Er war den beiden Freundinnen beim Einsteigen in die Gondel behilflich; dann setzte er sich auf das Bänkchen ihnen gegenüber. Und der lange dreizackige Schiffschnabel tauchte in den funkelnden Zauber.
»Nach dem Rio Marin, durch den Canalazzo« – befahl die Foscarina dem Ruderer. »Sie wissen, Effrena, wir haben zum Nachtessen einige Ihrer besten Freunde: Francesco de Lizo, Daniele Glauro, den Fürsten Hoditz, Antimo della Bella, Fabio, Molza, Baldassare Stampa ...«
»Wir haben also ein Gastmahl« – unterbrach sie Stelio.
»Leider nicht das von Kana!«
»Aber wird denn Lady Myrta mit ihren Windspielen à la Paolo nicht dabei sein?«
»Selbstverständlich fehlt Lady Myrta nicht. Haben Sie sie nicht im Saal gesehen? Sie saß in einer der ersten Reihen, ganz in Ihren Anblick verloren.«
Während sie so miteinander sprachen, blickten sie sich in die Augen und gerieten plötzlich beide in tiefe Verwirrung. Und die Erinnerung an die überreiche Dämmerstunde, die sie auf demselben Wasser, das von dem nämlichen Ruder durchfurcht wurde, gemeinsam verlebt hatten, füllte ihre Herzen bis zum Rande, wie eine Woge trüben Blutes; und jene plötzliche Angst packte sie wieder, die sie beide empfunden hatten, als sie das Schweigen der Lagune, die schon tm Bereiche des Schattens und des Todes lag, hinter sich gelassen hatten. Und ihren Lippen widerstrebten die leeren trügerischen Worte, und ihre Seelen befreiten sich von dem Zwange, sich aus Klugheit vor diesem vergänglichen Tand des festlichen Lebens zu neigen, dem sie jetzt keinen Wert mehr zuerkennen konnten, da sie versenkt waren in die Betrachtung der wunderbaren Gestalten, die aus der Tiefe ihrer Seele emporstiegen im nie geschauten Glanze unversieglichen Reichtums, ähnlich jenen funkelnden Schätzen, die das sprühende Licht im nächtlichen Wasser offenbarte.
Aber da sie schwiegen wie damals, als sie sich dem Kriegsschiff mit der gesenkten Flagge genähert hatten, fühlten sie auf ihrem Schweigen die Gegenwart der Sängerin schwerer lasten, als sie damals schon ihren Namen empfunden hatten: und diese Last wurde nach und nach fast unerträglich. Und dennoch erschien sie Stelio, der doch Knie an Knie mit ihr saß, fern wie vorher im Walde der Instrumente: fern und unbewußt wie vorher in der Seligkeit des Gesanges. Und sie hatte noch immer nicht gesprochen!
Einzig um den Klang ihrer Stimme zu hören, fragte Stelio fast schüchtern:
»Werden Sie noch einige Zeit in Venedig bleiben?«
Er hatte nach Worten gesucht, hatte sie hin und her überlegt; und alle, die sich ihm auf die Lippen gedrängt hatten, hatten ihn beirrt, waren ihm doppelsinnig vorgekommen, zu lebhaft, zu verfänglich, geeignet, zahllose Möglichkeiten zu befruchten, grade wie tausende von Wurzeln aus unbekanntem Samen sich entwickeln. Und es schien ihm, als ob Perdita keines dieser Worte hören könnte, ohne daß ihre Liebe noch trauriger würde dadurch.
Und erst, als er diese harmlose Frage ausgesprochen, bemerkte er, daß auch hinter ihr sich eine Unendlichkeit von Wünschen und Hoffnungen bergen konnte.
»Ich muß morgen reisen« – erwiderte Donatella Arvale. – »Eigentlich dürfte ich schon heute nicht mehr hier sein.«
Ihre Stimme, so klar und so stark in der Bewegung des Gesanges, war leise, maßvoll, wie in zarten Schatten getaucht, und weckte die Vorstellung des kostbarsten Metalles, das in weichsten Samt gebettet ist. Ihre kurze Antwort beschwor vor der Phantasie einen Ort mit Qualen herauf, in den sie zurückkehren mußte, um sich einer wohlbekannten Marter zu unterziehen. Ein schmerzvoller Wille, wie ein in Tränen gestähltes Eisen, schimmerte durch den Schleier ihrer jugendlichen Schöne.
»Morgen!« – rief Stelio, seinen aufrichtigen Kummer nicht verbergend. – »Haben Sie gehört?«
»Ich weiß« – sagte die Foscarina, Donatellas Hand liebevoll ergreifend. – »Ich weiß; und es ist furchtbar traurig für mich, sie abreisen zu sehen. Aber sie darf sich nicht auf allzu lange Zeit von ihrem Vater entfernen. Sie wissen vielleicht gar nicht ...«
»Was?« – fragte Stelio lebhaft. – »Ist er krank? Es ist also wahr, daß Lorenzo Arvale krank ist?«
»Nein, er ist müde« – erwiderte die Foscarina, mit einer vielleicht unwillkürlichen Bewegung an die Stirn,
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