Feuer (German Edition)
verlieren, die das Leben mit jeder Fülle befruchtet hatte, den Genuß dieser leidenschaftlichen Hingabe und dieses leidenschaftlichen Glaubens, durch die sein Geist wie durch einen zündenden Zaubertrank geschärft, und sein Stolz wie durch nie endendes Lob genährt wurde. ›Ach, perdita,‹ dachte er, ›warum hat sich aus deinen unzähligen irdischen Lieben nicht ein reiner, übermenschlicher Geist der Liebe sublimiert? Ach, warum hat meine Begierde endlich den Sieg über dich davontragen wollen, da ich doch wußte, daß es zu spät; und warum lassest du es zu, daß ich in deinen Augen die Gewißheit des bevorstehenden Besitzes in einer Flut von Zweifeln lese, die doch nicht dahin führen werden, die niedergeworfene Schranke wieder aufzurichten? Obgleich wir beide wohl wußten, daß der ganze Adel unsrer langen Verbindung grade in dieser Schranke liegt, haben wir sie nicht aufrecht zu erhalten verstanden; und in der zwölften Stunde werden wir blindlings dem Gebot einer trüben, nächtlichen Stimme erliegen. Und doch habe ich vorher, als dein Haupt in jenen Sternenkreis ragte, in dir nicht mehr die Geliebte meiner Sinne, sondern die verkündende Muse meiner Poesie gesehen; und die ganze Dankbarkeit meiner Seele galt der Verheißung des Ruhmes, nicht der Verheißung der Lust. Du, die mich immer versteht: verstandest du das nicht? Hast du nicht selbst mit wundervoller Divinationsgabe auf dem Strahle deines Lächelns meinen Wunsch zu jener blühenden Jugend getragen, die du für mich auserwählt, für mich gehegt hast? Als du an ihrer Seite die große Treppe herabkamst, sahest du nicht aus wie jemand, der ein Geschenk bringt oder eine unerwartete Verkündigung? Nicht unerwartet vielleicht, Perdita, nicht unerwartet; denn ich erhoffte von deiner unendlichen Weisheit irgendeine unerhörte Tat ...‹
»Wie glücklich ist die schöne Nineta zwischen ihren Affen und ihrem Hündchen!« – seufzte die verzweifelte Frau, indem sie ihren Kopf zurückwandte nach dem leichten Liedchen und dem lachenden Balkon.
La zoventù xe un fior
Che apena nato el mor,
E un zorno guanca mi
No sarò quela.
Auch Donatella Arvale wendete den Kopf zurück, und gleichzeitig mit ihr Stelio Effrena. Und das leichte Schiffchen trug, ohne auf den Grund zu sinken, das schwerlastende Geschick dieser drei über das Wasser und über die Musik.
E vegna quel che vol,
Lassé che vaga!
Über den ganzen Canale Grande, in der Ferne von Barken wiederholt, tönte das Lied der vergänglichen Lust. Auch die Ruderer, fortgerissen von dem Rhythmus, einten ihre Stimmen dem fröhlichen Chor. Diese Freude, die dem Dichter in dem ersten Ausbruch der auf dem Molo dicht gedrängten Menge schrecklich erschienen war, war jetzt maßvoller geworden, milder und abgetönter, sie blühte in Anmut und üppigen Scherzen. Venedigs Seelchen wiederholte das Ritornell von der Flüchtigkeit des Lebens, spielte die Gitarre dazu und tanzte zwischen den bunten Gewinden der Laternen.
E vegna quel che vol,
Lassè che vaga!
Plötzlich flammte vor dem roten Palazzo der Foscari, da wo der Kanal die Biegung macht, ein großer Bucentaur auf, wie ein Turm, der in Flammen steht. Und wieder schossen neue Blitze zum Himmel. Und neue leuchtende Tauben stiegen vom Deck auf, bis über die Loggien hinauf, huschten über die marmornen Bildwerke, schlugen zischend ins Wasser, vermehrten sich hier in zahllosen Funken und schwammen rauchend obenauf. Längs der Seitenwände, auf dem Hinter- und Vorderdeck spieen gleichzeitig tausend Feuerfontänen, sie verbreiteten sich, flossen ineinander und beleuchteten mit glühendem Rot den ganzen Kanal nach allen Seiten hin, bis zu San Vitale, bis zum Rialto. Der Bucentaur entschwand den Blicken, in eine purpurrote, krachende Wolke verwandelt.
»Nach San Polo, nach San Polo!« rief die Fascarina dem Ruderer zu, indem sie ihren Kopf duckte wie vor einem Gewitter und beide Ohren mit den Handflächen vor dem Getöse schützte.
Und Donatella Arvale und Stelio Effrena sahen sich wieder mit geblendeten Augen an. Und ihre Gesichter, von dem Widerschein entzündet, glühten, als ob sie über einen Hochofen oder über einen Krater gebückt ständen.
Die Gondel bog in den Rio di San Polo ein und verlor sich im Schatten. Ein eisiger Schleier senkte sich plötzlich auf die drei Schweigsamen. Unter den Brückenbogen hörten sie wieder den Takt des Ruders; und der Lärm des Festes schien unendlich fern. Alle Häuser waren dunkel; der Glockenturm ragte stumm und
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