Feuer (German Edition)
Zauber durch die offnen Balkone über die regungslosen Wasser, stieg hinauf zu den wachsamen Sternen, über die unbeweglichen Masten der Schiffe, über die heiligen Türme, die von stummen Erzgestalten bewohnt waren. Während der Zwischenspiele neigte die Sängerin ihr junges Haupt und schien leblos zu werden wie eine Statue, schneeweiß mitten in dem Wald von Instrumenten, zwischen dem Auf und Nieder der langen Plektren, vielleicht nicht mehr der Welt bewußt, die ihr Gesang in wenig Augenblicken verwandelt hatte.
Stelio war heimlich in den Hof geflüchtet, um sich der lästigen Neugierde zu entziehen, und stand im Schutze des Schattens verborgen, und von dort erspähte er, ob nicht die beiden Frauen, die Schauspielerin und die Sängerin, die bei der Zisterne sich treffen sollten, oben auf der Scala dei Giganti unter der Menge auftauchten.
Er fühlte, daß seine Erwartung von Augenblick zu Augenblick quälender wurde, indes der ungeheure Lärm zu ihm drang, der sich an den äußeren Mauern des Palastes erhoben hatte und sich in dem vom Widerscheine der Flammen erhellten Himmel verlor. Eine beinah schreckliche Freude schien sich über die meerentstiegene Stadt in die Nacht hineinzugießen. Es schien, als ob ein ungestümer Atemzug plötzlich die enge Brust geweitet hätte, und als ob ein Überschwang sinnlichen Lebens die Adern der Menschen schwelle. Die Wiederholung des Bacchantenchores, der die Sternenkrone besang, mit der Aphrodite das Haupt der Ariadne schmückt, dieser erhabene Ruhmeshymnus, auf den das brausende, orgiastische Geschrei der Bacchanten folgte, hatte der unter den offenen Balkonen auf dem Molo dichtgedrängten Volksmasse den Schrei entlockt. Auf die Steigerung des Finale, auf das vom Chor der Mänaden, der Satyrn und Faune unisono herausgeschmetterte Wort » Viva !« war der Chor des Volkes draußen wie ein gewaltiges Echo in die Lagune von San Marco geklungen. Und es hatte den Eindruck geweckt, als ob in diesem Augenblick die dionysische Raserei, eingedenk der in heiligen Nächten verbrannten uralten Wälder, das Zeichen gegeben hätte zu dem Feuermeer, in dem zum Schluß Venedigs Schönheit erstrahlen sollte.
Paris Eglanos Traum wetterleuchtete durch Stelios Sehnen: Das Schauspiel des flammenden Wunders, das dem schwimmenden Bett der Liebe sich darbietet. Donatella Arvales Bild haftete vor seinem inneren Blick: die geschmeidige junge Gestalt mit den kräftigen, schöngeschwungenen Hüften, wie sie heraustrat aus dem klingenden Wald, inmitten der wechselnden Bewegung der Plektren, die die Töne, die in ihr noch verborgen schlummerten, herauszuziehen schienen. Und mit seltsamem Bangen, in das sich fast ein Schatten von Schrecken mischte, beschwor er das Bild der andern herauf: vergiftet durch die Kunst, beschwert durch wollüstiges Wissen, mit dem Zug von Überreife und Verderbtheit um den beredten Mund, mit den von zweckloser Glut trockenen, heißen Händen, die aus betrügerischen Früchten den Saft ausgepreßt hatten, mit den Spuren von hundert Masken in dem Gesichte, das die Wut tödlicher Leidenschaften geheuchelt hatte. Und in dieser Nacht endlich sollte ihm, nach langem Begehren, das Geschenk dieses Körpers werden, der, nicht mehr jung und durch so viele Liebkosungen erschlafft, ihm bis dahin unbekannt geblieben war. Wie hatte er noch eben an der Seite der schwelgenden Frau gezittert und gebebt, als sie auf dem Wasser, das ihnen beiden in schreckhaftem Laufe dahinzugleiten schien, der schönen Stadt entgegenfuhren! Ach, warum trat sie ihm jetzt entgegen, begleitet von der anderen Versucherin? Warum stellte sie neben ihr erbarmungloses Wissen den reinen Glanz dieser Jugend?
Mit innerem Erbeben entdeckte er oben auf der marmornen Treppe, beim Scheine der qualmenden Fackeln, die Gestalt der Foscarina, in dem Gedränge so dicht an Donatella Arvale geschmiegt, daß sie beide zu einem weißleuchtenden Körper zu verschmelzen schienen. Sein Blick folgte ihnen, wie sie die Stufen hinabstiegen, so gespannt, als ob sie mit jedem Schritt den Fuß an den Rand eines Abgrundes setzten. In den kurzen Stunden hatte die Unbekannte innerhalb seiner Vorstellungswelt schon ein so intensives Leben gelebt, daß ihr Herannahen ihm eine Verwirrung und Bestürzung verursachte, nicht unähnlich der, die er empfunden haben würde, wenn die lebendige Inkarnation irgendeiner aus seiner Kunst geborenen Idealgestalt ihm plötzlich entgegengetreten wäre.
Langsam stieg sie herab in dem Menschengewoge, das ihr Gesang
Weitere Kostenlose Bücher