Feuer (German Edition)
aus der Stelio die entsetzliche Drohung verstand, die über dem Genius dieses Künstlers schwebte, der fruchtbar und unermüdlich geschienen hatte wie ein alter Meister, wie ein Della Robbia oder ein Verrocchio. – »Er ist nur müde ... nur müde ... Er braucht Ruhe und Linderung. Und der Gesang seiner Tochter bringt ihm Linderung ohnegleichen. Glauben Sie nicht auch an die Heilkraft der Musik, Effrena?«
»Gewiß« – antwortete er – »Ariadne besitzt eine göttliche Gabe, mit deren Hilfe ihre Macht alle Grenzen überschreitet.«
Ariadnes Name war ihm unwillkürlich auf die Lippen gekommen, wie um der Sängerin zu zeigen, als was er sie sah; denn es schien ihm unmöglich, die übliche vom weltlichen Brauch vorgeschriebene Anrede vor den wirklichen Namen des Mädchens zu setzen. Er sah sie rein und einzigartig, losgelöst von den kleinlichen Banden der Konvention, ein eigenes in sich abgegrenztes Leben lebend, ähnlich einem erhabenen Kunstwerk, auf das der Stil sein unverletzliches Siegel gedrückt hat. Er sah sie isoliert wie jene Figur, die durch einen vertieften, scharfen Umriß hervorspringt, dem alltäglichen Leben fremd, in ihr geheimstes Denken festgebannt; und schon empfand er vor der Intensität dieser konzentrierten Spannung eine Art leidenschaftlicher Ungeduld, nicht unähnlich der eines ungeduldigen Mannes vor einem hermetischen Verschluß, der ihn reizt.
»Ariadne hatte für ihre Schmerzen die Gabe des Vergessens« – sagte sie – »die fehlt mir.«
Eine vielleicht unbewußte Bitterkeit klang durch ihre Worte, aus denen Stelio die Sehnsucht nach einem durch nutzlosen Schmerz weniger belasteten Leben herauszuhören glaubte. Durch eine intuitive Erkenntnis erriet er in ihr den Zorn gegen die Sklaverei, den Abscheu vor dem Opfer, zu dem sie sich zu zwingen schien, den brennenden Wunsch, sich zur Freude zu erheben, und die Bereitschaft, wie ein schöner Bogen von starker Hand gespannt zu werden, die es verstünde, sich damit zu einer gottlichen Eroberung zu waffnen. Er erriet, daß sie keine Hoffnung auf Genesung des Vaters mehr hegte, und daß sie darunter litt, nichts mehr zu sein, als die Hüterin eines erloschenen Feuers, eines Aschenhaufens ohne Funken. Und das Bild des großen, tödlich getroffenen Künstlers stand vor ihm; nicht so, wie er war, denn nie hatte er seine vergängliche Hülle gesehen; sondern wie er ihn sich vorstellte nach den Typen von Schönheit, die sein Genius in unvergänglichem Marmor und in Bronze zum Ausdruck gebracht hatte. Und er sah sie unverwandt an, erstarrt in elnem Schrecken, der eisiger war, als ihn die grausigsten Bilder des Todes hervorrufen. Und seine ganze Kraft und sein ganzer Stolz und all seine Wünsche schienen in ihm zu ertönen wie ein Bündel Speere, die von dräuender Hand geschüttelt werden; und es war keine Fiber in ihm, die nicht bebte.
Da lüftete die Foscarina das Leichentuch, das auf einmal, mitten im Glanze des Festes, die Gondel in einen Sarg verwandelt hatte.
»Sehen Sie, Effrena« – sagte sie, auf den Balkon vom Hause der Desdemona deutend – » die schöne Nineta, die die Huldigung der Serenade zwischen ihrem Affen und ihrem Hündchen entgegennimmt.«
»Ach, die schone Nineta!« – rief Stelio und schüttelte die traurigen Gedanken von sich ab, verneigte sich lächelnd gegen den Balkon und sandte mit lebhafter Herzlichkeit der kleinen Dame, die den Musikern lauschte, von zwei silbernen Leuchtern erhellt, um deren gebogene Arme Kränze aus den letzten Rosen gewunden waren, seinen Gruß. – »Ich hatte sie noch nicht wieder gesehen. Sie ist das süßeste und anmutigste kleine Tier, das ich kenne. Was für ein Glück hatte dieser gute Hoditz, als er sie hinter dem Deckel eines Harmoniums entdeckte, als er einen Antiquitätenladen in San Samuele durchstöberte. Zwei Glücksfälle an einem Tag: die schöne Nineta und ein von Pordenone gemalter Deckel. Von dem Tage an war die Harmonie seines Lebens voll. Ich wünschte wirklich, daß Sie sich sein Nest ansähen! Sie würden das, was ich Ihnen heut beim Sonnenuntergang sagte, aufs wundervollste bestätigt finden. Das ist ein Mensch, der, seinem angebornen Geschmack für das Zarte, Feine folgend, es verstanden hat, mit vollendeter Kunst sich sein kleines Märchen zu schaffen, in dem er so glückselig lebt wie sein mährischer Ahn in dem Arkadien von Roßwald. Was für wundervolle Dinge weiß ich von ihm!«
Eine große, mit bunten Laternen geschmückte Barke, vollbesetzt mit Musikanten
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