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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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danach, die menschliche Begrenztheit zu durchbrechen, über alle Schranken hinaus zu genießen: erhabene Werkzeuge, fähig, die entferntesten Geheimnisse zu durchdringen, die verworrensten Rätsel zu lösen, aus Wollust Wollust zu gewinnen, wie Harmonie aus Harmonie: wundervolle Vermittler, unbegrenzte Kräfte, Wirklichkeiten, so sicher wie der Tod. Alles entschwand wie leerer Dunst: in der Vermischung der Geschlechter einzig vereinigten sich alle Kräfte und alles Sehnen des Weltalls; der Himmel sprach sie heilig; das Dunkel und der Schatten machten sie zu einer religiösen Handlung; das Rauschen des Todes begleitete sie.
    Er öffnete die Augen. Das Zimmer war dunkel, durch den offenen Balkon sah er das ferne, ferne Firmament, die Bäume, Kuppeln und Türme, die äußere Lagune, über die die Abenddämmerung sich senkte, die Euganeeischen Hügel, die ruhig und tiefblau dalagen, gleich zur Abendruhe zusammengefalteten Flügeln der müden Erde. Er sah die Gestalten des Schweigens und die schweigende Gestalt, die mit ihm verwachsen schien, wie die Rinde mit dem Stamm.
    Die Frau lastete auf ihm mit ihrem ganzen Gewicht, sie umschlang und umhüllte ihn und preßte, das Gesicht verbergend, ihre Stirn krampfhaft an seine Schulter mit einem Druck, der nicht nachließ und unlöslich schien, wie der eines Leichnams, wenn seine Arme erstarren in der Umschlingung des Lebenden. Es schien, als wolle sie ihre Beute nicht wieder fahren lassen, als könne sie nicht anders von ihr gelöst werden, als indem man ihr die Arme gewaltsam abtrennte. In ihrem Umfangen fühlte er die Festigkeit und die Kraft ihrer Knochen, während er auf der Brust und an seinen Lenden ihr weiches Fleisch fühlte, das von Zeit zu Zeit auf ihm zitterte, wie auf Kiesboden strömendes Wasser. Unbeschreibliche Dinge glitten vorüber in diesem zitternden Wasser, glitten vorüber zahllos, ununterbrochen, vom Grunde aufsteigend, von weit her abstammend; sie glitten vorüber, glitten vorüber, immer dichter, dunkler, unreiner, ein Strom schlammigtrüben Lebens. Und wieder verstand er, daß sein brünstiges Begehren sich nährte von dieser Unreinheit, von diesen unbekannten Rückständen, von diesen Spuren verworfener Liebesabenteuer, von dieser körperlichen Traurigkeit, von dieser unsagbaren Verzweiflung. Wieder verstand er, daß die Gespenster anderer früherer Begierden die Heftigkeit seiner Brunst nach dem ruhelos-unsteten Weibe stachelten. Jetzt litt er an ihr, an sich; und er fühlte sie leiden, und er fühlte sie sein eigen, wie das Holz der Flamme, die es verzehrt, zueigen ist; und er horte von neuem die unerwarteten Worte nach dem Ausbruch der Leidenschaft: »Ich muß sterben!«
    Wieder blickte er hinaus ins Freie; er sah die Gärten in schwarze Schatten getaucht, sah die Häuser sich erhellen, einen Stern aufflammen am düsteren Himmel, am Ende der Lagune einen langen blassen Streifen erglänzen, die Hügel sich verschmelzen mit dem Saume der Nacht, die Fernen sich dehnen nach Gegenden, die reich an unbekannten Gütern. Es gab in der Welt Taten zu vollbringen, Eroberungen auszuführen, Träume in Wirklichkeit umzusetzen, Geschicke zu bezwingen, Rätsel zu entwirren, Lorbeeren zu pflücken. Dort unten lagen Wege voll geheimnisvoll unvorhergesehener Bewegungen. Irgendein verhülltes
    Glück ging dort vorüber, ohne daß es jemandem begegnete, ohne daß jemand es erkannte. Lebte vielleicht zu dieser Stunde irgendwo in der Welt ein Doppelgänger, ein ferner Bruder oder ein ferner Feind, auf dessen Stirn, nach einem Tagewerk voll mühseliger Erwartung, sich die blitzgleiche Inspiration senkte, aus der ein Werk von Ewigkeitsdauer entsprang? Irgend jemand hatte zu dieser Stunde irgendein erhabenes Werk vollendet, oder hatte endlich einen heroischen Zweck für sein Leben gefunden. Und er war hier, gebunden an den Kerker seines Körpers, niedergedrückt unter der Last des verzweifelten Weibes. Dieses an Schmerz wie an Kraft überreiche Geschick war, gleich einem mit Eisen und mit Gold schwer beladenen Schiff, an ihm wie einem Felsenriff zerschellt. Was tat, was dachte an diesem Abend Donatella Arvale auf ihrem toskanischen Hügel, in ihrem einsamen Hause, bei dem wahnsinnigen Vater? Zügelte sie ihren Willen in einem wohlüberlegten Kampfe? Vertiefte sie ihr Geheimnis? War sie rein?
    Seine Glieder wurden gefühllos unter der Umklammerung; wie gelähmt waren seine Arme in dem starren Druck. Stumm und unbeweglich umfaßte die Betäubung sein ganzes Sein. Eine tiefe

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