Feuer (German Edition)
aufgerüttelt.
Sie blieb stehen. Sie lächelte mit ihrem leisen, verbergenden Lächeln. »Vergänglichkeit.«
»Ich wollte fliehen« – sagte sie – »aber es geht nicht.«
Sie stand da wie eine bleiche Flamme.
»Ich hatte vergessen, daß ich Sie nach dem verschlossenen Hause führte, Stelio.«
Sie stand da, in dem aschfahlen Tag, jeder Kraft beraubt, verirrt wie in einer Wüste.
»Es kam mir vor, als hätten wir ein anderes Ziel. Aber wir sind angelangt. Vergänglichkeit!«
Sie erschien ihm in diesem Augenblicke wie in jener unvergeßlichen Nacht, als sie ihn angefleht hatte: »Tun Sie mir nichts zuleide!« Sie stand da, fast körperlos, ganz tiefgeheimste, zarte Seele, durch ein Nichts hinzumorden, zu zerstören, hinzuopfern ohne Blut.
»Wir wollen gehen«–sagte er und versuchte, sie von der Stelle zu bewegen. – »Wir wollen weiter gehen.«
»Es geht nicht.«
»Wir wollen in dein Haus gehen; laß uns in dein Haus gehen; wie wollen ein Feuer anzünden, das erste Oktoberfeuer Laß mich den Abend bei dir verbringen, Foscarina! Es wird bald anfangen zu regnen. Dann wird's so süß sein, in deinem Zimmer zu verweilen, Hand in Hand sprechen, zu schweigen ... Komm. Laß uns gehen.«
Er hätte sie in seine Arme nehmen, sie wiegen, sie trösten mögen, er hätte sie weinen sehen mögen und ihre Tränen trinken. Der Klang seiner eigenen liebkosenden Worte erhöhte seine Zärtlichkeit. Von ihrer ganzen hingebenden Person liebte er jetzt ohne Maß und Ziel die zarten Linien, die von den Augenwinkeln nach den Schläfen hin liefen, und die kleinen dunkeln Adern, die die Augenlider violett erschimmern ließen, und das Oval der Wangen, und das abgezehrte Kinn, und alles, was von dem Weh des Herbstes berührt schien, alles was Schatten war in dem leidenschaftlichen Gesicht.
»Foscarina! Foscarina!«
Als er sie bei ihrem wahren Namen rief, klopfte sein Herz stärker, als ob etwas tiefer Menschliches in seine Liebe träte, als ob plötzlich die ganze Vergangenheit sich von neuem anklammere an die Gestalt, die sein Traum isoliert hatte, und als ob unzählige Fäden all ihre Fibern von neuem mit dem unerbittlichen Leben verbänden.
»Komm. Laß uns gehen!«
Sie lächelte mühsam.
»Aber warum, wenn das Haus doch da ist? Wir wollen durch die Calle Gämbara gehen. Wollen Sie die Geschichte der Gräfin Glanegg nicht hören? Sehen Sie! Es sieht wie ein Kloster aus.«
Die Straße war einsam wie der Pfad in einer Wüste, grauschmutzig, feucht, mit dürren Blättern besät. Der Nordostwind erzeugte einen trägen, feuchten Nebel, der alle Geräusche dämpfte. Die verworrene Monotonie erinnerte an den Klang von knarrendem Holz und von knirschendem Eisen.
»Hinter diesen Mauern überlebt eine verzweifelte Seele die Schönheit ihres Körpers« – sagte die Foscarina leise. – »Sehen Sie! Die Fenster sind geschlossen, die Fensterläden sind unbeweglich, alle Türen sind versiegelt. Eine einzige hat man offen gelassen, für die Dienerschaft, durch die wird die Nahrung der Toten eingeführt, wie in den ägyptischen Gräbern. Die Diener nähren einen erloschenen Körper.«
Die Bäume, die die klösterliche Mauer überragten, schienen sich in ihren beinahe kahlen Wipfeln im Dunst zu lösen; und die Sperlinge, zahlreicher als die kranken Blätter auf den Zweigen, zwitscherten, zwitscherten ohne Unterlaß.
»Raten Sie ihren Namen. Er ist so schön und so selten, als ob Sie ihn erfunden hätten.«
»Ich kann nicht.«
»Radiana! Sie heißt Radiana, die Gefangene.«
»Aber wessen Gefangene ist sie?«
»Der Zeit, Stelio. Die Zeit wacht an den Toren mit ihrer Sichel und ihrem Stundenglas, wie auf den alten Stichen ...«
»Eine Allegorie?«
Pfeifend ging ein Knabe vorbei. Als er die beiden sah, die nach den verschlossenen Fenstern hinaufblickten, blieb er stehen und sah mit seinen großen, neugierigen und erstaunten Augen ebenfalls hinauf. Das unaufhörliche Zwitschern der Sperlinge vermochte nicht, das Schwelgen der Mauern, der Baumstämme und des Himmels zu übertönen, denn die Monotonie lag in ihren Ohren, wie das Brausen in den Meeresmuscheln, und durch sie hindurch spürten sie die Schweigsamkeit der Dinge rundum und irgendeine ferne Stimme. Man hörte das langgezogene heisere Kreischen einer Sirene aus nebliger Ferne, das nach und nach sanft wurde wie Flötenklang. Dann erlosch es. Das Kind wurde müde, länger zu schauen, es ging nichts Bemerkenswertes vor, die Fenster öffneten sich nicht; alles blieb unbeweglich.
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