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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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Laufend entfernte es sich.
    Man hörte die Flucht seiner kleinen nackten Füße auf den nassen Steinen und auf den dürren Blättern.

    »Also?« – fragte Stelio. – »Was macht Radiana? Sie haben mir noch nicht gesagt, wer sie ist und warum sie in der Abgeschlossenheit lebt. Erzählen Sie mir von ihr. Ich mußte an Soranza Soranzo denken.«
    »Es ist die Gräfin Glanegg, eine der vornehmsten Damen der Wiener Aristokratie, vielleicht das schönste Geschöpf, dem ich je auf Erden begegnet bin. Lenbach hat ein Porträt von ihr gemalt in der Walkürenrüstung, mit Flügelhelm. Kennen Sie Franz Lenbach nicht? Waren Sie nie in seinem roten Atelier im Palazzo Borghese?«
    »Nein, niemals.«
    »Versäumen Sie nicht, einmal hinzugehen. Und dann bitten Sie ihn, Ihnen das Porträt zu zeigen. Sie werden Radianas Gesicht nicht wieder vergessen. Sie werden es sehen, so wie ich es jetzt unverändert durch die Mauern hindurch sehe. So hat sie im Gedächtnis derer bleiben wollen, die sie in ihrem Glanz gekannt haben. Als sie an einem allzu klaren Morgen gewahr wurde, daß die Zeit des Welkens für sie gekommen war, beschloß sie, von der Welt Abschied zu nehmen, damit die Menschen dem allmählichen Verfall und dem gänzlichen Ruin ihrer berühmten Schönheit nicht zusähen. Vielleicht hielt sie die Sympathie mit den Dingen, die sich auflösen und dem Untergang geweiht sind, in Venedig zurück. Sie gab ein prächtiges Abschiedsfest, bei dem sie noch im vollen Glanze ihrer Schönheit erschien. Dann zog sie sich für immer mit ihrer Dienerschaft in dieses Haus hier, inmitten des vermauerten Gartens, zurück, das Ende erwartend. Sie ist eine legendäre Figur geworden. Man erzählt, daß sich im ganzen Hause kein Spiegel befindet, und daß sie ihr eigenes Gesicht vergessen habe. Selbst ihren ergebensten Freunden ist es strengstens verwehrt, sie zu besuchen. Wie lebt sie? Was für Gedanken beschäftigen sie? Mit welchen Künsten betrügt sie die Qual der Erwartung? Ist ihre Seele im Stande der Gnade?«
    Jede Pause ihrer verschleierten Stimme, die das Rätsel befragte, war so gesättigt mit Melancholie, daß sie förmlich etwas Materielles zu werden, förmlich nach jenem schluchzenden Rhythmus zu ermessen schien, mit dem Wasser in ein enges Gefäß einzudringen pflegt.
    »Betet sie? Ist sie in religiöse Betrachtungen vertieft? Weint sie? Oder vielleicht ist sie ganz apathisch geworden und leidet so wenig, wie ein Apfel leidet, der auf dem Grunde irgendeines alten Schrankes langsam verrunzelt.«
    Die Frau schwieg. Ihre Mundwinkel zogen sich herunter, fast als ob sie durch diese Worte hingewelkt wären.
    »Wenn sie sich nun jetzt plötzlich da oben am Fenster zeigte?« – sagte Stelio, der die lebhafte Empfindung hatte, als ob er das Kreischen der Angeln wirklich höre.
    Beide spähten ängstlich nach den Zwischenräumen der fest vernagelten Jalousien.
    »Sie könnte dort oben stehen und uns beobachten« – fügte er leise hinzu.
    Der Schauer des einen teilte sich dem andern mit.
    Sie standen an die gegenüberliegende Mauer gelehnt und hatten nicht die Willenskraft, einen Schritt zu tun. Die Regungslosigkeit der Dinge nahm Besitz von ihnen, der feuchte, aschgraue, immer dichter werdende Nebel hüllte sie ein; die verworrene Monotonie betäubte sie, wie jenes Heilmittel, das Fieberkranke betäubt. Die Sirenen kreischten aus der Ferne. Das heisere Kreischen wurde nach und nach schwächer und klang in der weichen Luft süß wie Flötentöne und schien langsam hinzusterben, wie jene entfärbten Blätter, die einzeln, eines nach dem andern, vom Zweige sich lösten, ohne zu klagen. Was für eine lange Zeit verging, bis ein Blatt, das sich losgelöst hatte, den Erdboden erreichte! Alles war Stillstand, Dunst, Öde, Verfall, Asche.–
     
    »Ich muß sterben, mein süßer Freund, ich muß sterben!« – sagte nach einem langen Schweigen die Frau mit herzzerreißender Stimme, indem sie ihr Gesicht von dem Kissen erhob, in das sie es gedrückt hatte,um den Krampf der Wollust und des Schmerzes zu dämpfen, den die plötzlichen und wütenden Liebkosungen bei ihr hervorriefen.
    Sie sah ihren Freund auf dem andern, entfernteren Diwan, dort, dicht beim Balkon, in der Stellung jemandes, der im Begriff ist, einzuschlummern, die Augen halb geschlossen, den Kopf zurückgelehnt, vom Abendlicht goldig übergossen. Sie sah unterhalb seiner Lippe ein rotes Zeichen, wie eine kleine Wunde. Sie fühlte, daß sich an diesen Dingen ihre Begierde nährte und von

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