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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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Fahnen, deren Fetzen ihm das Gesicht peitschten. Der Kanal unter ihm verlor sich im Schatten der Paläste, sich krümmend wie ein Strom, der in der Ferne donnernden Katarakten entgegeneilt; zwischen den aufgetürmten Wolkenmassen wurde ein Streifen hellen Himmels sichtbar, von jener kristallklaren Durchsichtigkeit, wie man es auf Gletscherhöhen findet.
    »Hier können wir unmöglich bleiben« – sagte Daniele Glàuro, sich an der Tür einer Verkaufsbude festhaltend. – »Der Wind trägt uns fort.«
    »Geh voran. Ich komme nach. Eine Minute!« – rief ihm der Dichter, über das Geländer gelehnt, die Augen mit den Händen bedeckend und mit seiner ganzen Seele intensiv lauschend.
    Die Stimme des Sturmes klang furchtbar in dieser Unbeweglichkeit versteinerter Jahrhunderte. Sie war Alleinherrscherin der Einsamkeit wie damals, als die Marmorwerke noch im Schoße der Berge schlummerten und auf den schlammigen Inseln der Lagune wildes Gras um Vogelnester wuchs; lange, lange, ehe auf dem Rialto ein Doge saß, lange, lange, ehe die Patriarchen Flüchtlinge ihrem großen Geschick entgegenführten. Alles menschliche Leben war verschwunden; nichts war unter dem Himmel als eine ungeheure Gruft, in deren Gewölben jene Stimme dröhnte, einzig jene Stimme. Die zu Asche gewordenen Menschengeschlechter, der ins Nichts zerfallene Prunk, die verfallene Größe, all die zahllosen Tage der Geburt und des Todes, die gestalt- und namenlose Dinge der flüchtigen Zeit rief sie zurück mit ihrem Gesang ohne Leier, mit ihrer hoffnungslosen Klage. Der Schmerz der ganzen Welt glitt im Wind über die empfangbereite Seele.

    »Ah! jetzt hab' ich dich!« – rief im Triumph der beglückte Künstler.
    Das Grundmotiv der Melodie war ihm aufgegangen, war jetzt sein eigen, unvergänglich zu eigen ihm und der Welt. Von allen lebendigen Dingen schien ihm keines lebendiger als dieses. Sein Leben selbst schwand neben der unbegrenzten Kraft dieses klingenden Gedankens, neben der schöpferischen Gewalt dieses zu endlosen Entwicklungen fähigen Keimes. Er stellte ihn sich vor, wie er, in das symphonische Meer ergossen, durch tausend Wandlungen zur Vollendung sich durchringen werde.
    »Daniele, Daniel, ich habe gefunden!«
    Er erhob die Augen, sah in dem stahlblauen Himmel die ersten Sterne, empfand das erhabene Schweigen, in dem sie wandelten. Bilder ferner Länder, über denen weite Himmel sich wölbten, tauchten vor seinem Geiste auf: Vorstellungen von Sand, von Bäumen, von Wassern und von Staub an sturmgepeitschten Tagen. Die Lybische Wüste, der Olivenhain an der Bucht von Salonä, der Nil bei Memphis, das dürre Argolis. Immer neue Bilder drängten sich. Er fürchtete das, was er gefunden hatte, wieder zu verlieren. Mit gewaltsamer Anstrengung schloß er sein Gedächtnis ab, wie die Faust sich schließt, die etwas festhalten will. Dicht an einem Pfeiler bemerkte er den Schatten eines Mannes, einen Lichtpunkt am Ende einer langen Stange; er hörte das leise Knistern der in der Laterne entzündeten Flamme. Mit ängstlicher Eile trug er die Noten des Themas in sein Taschenbuch ein: in fünf Linien bannte er die Sprache des Elementes.
    »O Tag der Wunder!« – rief Daniele Glàuro, als er ihn leicht und behend, als hätte er der Luft auch ihre Elastizität geraubt, heruntersteigen sah. – »Und immer bist du der Liebling der Natur, Bruder!«
    »Gehen wir, gehen wir!« – sagte Stelio, seinen Arm ergreifend und ihn mit kindlicher Heiterkeit fortziehend. »Ich habe ein Bedürfnis zu laufen.«
    Er zog ihn durch die engen Gassen nach San Giovanni Elemosinario. Er wiederholte sich innerlich die Namen der drei Kirchen, an denen er auf dem Wege nach jenem fernen Hause vorbeikommen mußte, das von Zeit zu Zeit blitzgleich auftauchte, von tiefgeheimer Erwartung belebt.
    »Was du mir eines Tages sagtest, Daniele, ist richtig: die Stimme der Dinge ist grundverschieden von ihrem Klang « – sagte er, beim Eingang der Ruga Vicchia stehen bleibend, da er bemerkte, daß sein Freund durch den eiligen Lauf müde geworden war. – »Der Klang des Windes erinnert bald an den Aufschrei einer erschreckten Menge, bald an das Geheul wilder Tiere, bald an das Rauschen von Wasserfällen, bald an das Flattern wehender Fahnen, bald erweckt er die Vorstellung von Hohn, bald von wildem Drohen, bald von Verzweiflung. Die Stimme des Windes hingegen ist die Synthese aller dieser Geräusche; es ist die Stimme , die da singt und erzählt von der schrecklichen Angst der Zeit, der

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