Feuer (German Edition)
noch bei den Flügeln der kühnen Adlernase. Heftige Windstöße bewegten die spärlichen, dünnen Haare auf der gewölbten Stirn und den weißen, das eckige Kinn umrahmenden Bart; durch die schlaffen Runzeln war der robuste Unterkiefer zu erkennen. Von den Schläfen tropfte zäher Schweiß, und einer der herabhängenden Füße wurde von einem leichten Zittern bewegt. Jeder geringfügige Zug dieser zusammengebrochenen Gestalt blieb dem Gedächtnis der beiden jungen Männer für immer eingeprägt.
Wie lange dauerte die Qual? Das Wechselspiel der Schatten setzte sich fort auf den düsteren Wasserwogen, von Zeit zu Zeit unterbrochen von großen Strahlenbündeln, die die Luft zu durchschneiden und mit dem Schwergewicht von Pfeilen im Wasser unterzusinken schienen. Man hörte das taktmäßige Geräusch der Maschine, ab und zu das kreischende Lachen der Möwen und schon das dumpfe Heulen, das vom Canale Grande drang, die ungeheure Klage der vom Meere gepeitschten Stadt.
»Wir wollen ihn tragen« – flüsterte Stelio Effrena dem Freunde ins Ohr, von der Traurigkeit der Dinge und von der Erhabenheit seiner Visionen berauscht.
Auf dem unbeweglichen Gesicht war kaum eine Spur des wiederkehrenden Lebens zu bemerken.
»Ja, wir wollen uns anbieten« – sagte schweigend Daniele Glàuro.
Sie sahen die Frau mit dem Gesicht von Schnee an; sie näherten sich bleich vor Erregung; sie boten ihre Hilfe an.
Wie lange dauerte dieser schreckliche Transport? Der Weg vom Schiffe bis zum Ufer war nur kurz; aber diese wenigen Schritte zählten für eine endlos lange Strecke. Das Wasser tobte gegen die Balken der Landungsbrücke, das dumpfe Heulen klang vom Kanal her wie aus den Windungen unterirdischer Höhlen; die Glocken von San Marco läuteten zur Vesper; aber all das verworrene Geräusch verlor jede unmittelbare Wirklichkeit und schien unendlich fern und tief, wie ein Klagelied des Ozeans.
Sie trugen auf ihren Armen die Last des Helden, sie trugen den gefühllosen Körper dessen, der über die Welt die Gewalt seiner meerestiefen Seele ergossen, die sterbende Hülle des Offenbarers, der zum Heile der Menschheit alle Wesenheit des Universums in unendlichen Gesang umgewandelt hatte. Mit einem unaussprechlichen Schauder von Schrecken und von Wonne, gleich einem Menschen, der einen Fluß sich über Felsen herabstürzen, einen Vulkan sich spalten, eine Feuersbrunst einen Wald verzehren und ein blendendes Meteor den Sternenhimmel auslöschen sieht; gleich einem Menschen angesichts einer elementaren Gewalt, die sich plötzlich und unwiderstehlich manifestiert: so fühlte Stelio Effrena unter seiner Hand, die auf der Brust des Kranken ruhte – er mußte einen Augenblick anhalten, um die Kraft, die ihn zu verlassen drohte, wieder zu sammeln, und sah auf das an seiner Brust liegende schneeweiße Haupt – so fühlte Stelio das geweihte Herz unter seiner Hand von neuem schlagen.
»Du warst stark, Daniele: du, der du sonst kein Rohr zerbrechen kannst! Der Körper dieses alten Barbaren hatte ein schweres Gewicht, es schien fast, als ob seine Knochen aus Erz gebildet wären: solid und kräftig gebaut, so recht geschaffen, um auf schwankender Brücke fest auf den Füßen zu bleiben: die Struktur eines wetterfesten Seemanns. Aber woher nahmst du nur diese Kraft, Daniele? Ich hatte Angst um dich. Aber du wanktest nicht! Wir haben einen Helden auf unseren Armen getragen. Wir müssen diesen Tag anstreichen und ihn feiern. Unter meinen Blicken hat er die Augen wieder aufgeschlagen; unter meiner Hand hat sein Herz von neuem begonnen zu pochen. Um unserer Hingebung wegen waren wir würdig, ihn zu tragen, Daniele.«
»Du warst nicht nur würdig, ihn zu tragen, sondern auch etliche der schönsten Verheißungen seiner Kunst aufzunehmen und sie der hoffenden Menschheit zu erhalten.«
»Ach, wenn ich nur nicht von meinem eigenen Überfluß überwältigt würde! und wenn es mir nur gelänge, diese Seelenqual, die mich erstickt, zu bezwingen, Daniele ...!«
Seite an Seite gingen die beiden Freunde, gingen berauscht und vertrauensvoll, als ob ihre Freundschaft in eine höhere Sphäre gehoben, als ob sie durch irgendeinen idealen Schatz bereichert worden war; sie gingen unaufhaltsam weiter, im tobenden Winde, gehetzt von der Wut des Meeres an diesem stürmischen Abend.
»Es ist, als ob das Adriatische Meer heut abend die Dämme und Murazzi zerstört hätte und sich über das Verbot des Senats lustig machen wollte« – sagte Daniele Glàuro stehen
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