Feuer (German Edition)
siehst du ihn erscheinen! Gold, Gold, Leichen, eine ungeheure Menge Gold, die Leichen ganz mit Gold bedeckt ...«
Da lagen sie im Dunkel der engen Straße auf dem Pflaster hingestreckt, die Fürsten aus dem Atridenhaus, ein heraufbeschworenes Wunder. Der Beschwörer und der Lauscher, beide hatten sie im gleichen Moment den gleichen Schauer empfunden.
»Eine ganze Reihe von Gräbern: fünfzehn unversehrte Tote, einer neben dem andern, auf goldenem Bette, die Gesichter mit goldenen Masken bedeckt, die Stirnen mit Gold gekrönt, die Brust mit goldenen Binden umwickelt; und überall, auf ihren Körpern, auf ihren Lenden, an ihren Füßen, überall eine Überfülle von Gold, zahllos wie die Blätter eines Fabelwaldes ... Siehst du? siehst du's?«
Das leidenschaftliche Bedürfnis, all dieses Gold greifbar zu veranschaulichen, seine visionäre Halluzination in fühlbare Wirklichkeit zu wandeln, erstickte ihn.
»Ich sehe, ich sehe!«
»Für einen Augenblick hat die Seele sich über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweggesetzt, hat in der entsetzensvollen Legende gelebt, hat gezittert in dem Grausen jenes antiken Gemetzels; einen Augenblick lang hat die Seele ein uraltes und gewaltsames Leben gelebt. Dort liegen sie, die Gemordeten: Agamemnon, Eurymedon, Kassandra und das königliche Geleit: dort liegen sie für einen Augenblick reglos unter deinen Blicken. Und jetzt – siehst du? – wie ein Nebel, der aussteigt, wie Schaum, der zerfließt, wie verwehender Staub, wie etwas unaussprechlich Flüchtiges, Gleitendes schwinden sie alle hin in ihrem Schweigen, werden sie alle verschlungen von dem gleichen schicksalschweren Schweigen, das rings um ihre strahlende Regungslosigkeit herrscht. Da ... eine Handvoll Staub und ein Haufen Gold ...«
Hier auf dem Pflaster der einsamen Gasse, wie auf den Steinplatten der Grabmäler, das Wunder von Leben und Tod! Von unaussprechlicher Bewegung ergriffen, preßte Daniele Glauro die bebenden Hände des Freundes; und der Dichter sah in den treuen Augen die stumme Flamme des Enthusiasmus für sein Meisterwerk lodern.
Sie blieben bei einem Torweg, gegen eine dunkle Wand gelehnt, stehen. Beide hatten ein geheimnisvolles Gefühl der Ferne, als ob ihre Geister in der Tiefe der Zeiten sich verloren hätten, und als ob hinter diesem Tore ein antikes, dem unwandelbaren Geschick geweihtes Geschlecht lebte. Man hörte in dem Hause nach dem Rhythmus einer leise gesummten Volksweise eine Wiege schaukeln: eine Mutter sang ihr Kindchen in Schlaf nach der von den Vorvätern überkommenen Melodie; mit ihrer schützenden Stimme übertönte sie das drohende Rasen der Elemente. Über ihnen erglänzten an dem schmalen Himmelsstreifen die Sterne; dort unten brüllte das Meer gegen die Dünen und Schutzwälle; weiterhin litt ein Heldenherz in der Erwartung des Todes; und ungestört schaukelte die Wiege weiter, und die Stimme der Mutter flehte um Heil über dem kindlichen Weinen.
»Das Leben!« – sagte Stelio Effrena, indem er seinen Weg fortsetzte und den Freund mit sich zog. – »In einem einzigen Augenblick hat sich hier alles, was in der Unermeßlichkeit des Lebens zittert, weint, hofft, sehnt und rast, in deinem Geist zusammengedrängt, hat sich in einem so raschen Niederschlag verdichtet, daß du wähnst, es in einem einzigen Wort zum Ausdruck bringen zu können. Aber welches Wort? Welches? Kennst du es? Wer wird es je sprechen?«
Und in dem Wunsch, alles zu umfassen, alles auszudrücken, fiel er wieder zurück in die alte Angst und Unbefriedigtheit.
»Hast du jemals, in irgendeinem Augenblick, das ganze Universum vor dir gesehen wie ein Menschenhaupt? Ich sah es so, tausende von Malen. Ach, und es nun vom Rumpfe zu trennen, wie jener Held, der mit einem Streich das Haupt der Medusa abhieb, und von einer Schaubühne herab es der Menge zu zeigen, damit sie es nie wieder vergessen könne! Hast du niemals gedacht, daß eine ganz große Tragödie dieser Gebärde des Perseus gleichen könnte? Ich sage dir: ich möchte die Bronze des Benvenuto der Loggia des Orcagna entführen und sie, zur Mahnung, im Vorhof des neuen Theaters aufstellen. Aber wer wird einem Poeten das Sichelschwert des Hermes und den Spiegel der Athene leihen?«
Daniele Glauro schwieg: er erriet die Qual des Freundes, er, der von der Natur die Gabe empfangen hatte, die Schönheit zu genießen, aber nicht, sie zu schaffen. Stumm schritt er an der Seite seines brüderlichen Gefährten, die gewaltige Denkerstirn, die trächtig schien mit
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