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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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hörte er aus dem Munde einer lebenden Person die Worte seiner Fiktion, dieselben Worte, die in der Episode gesprochen werden sollten. »Wenn du wirklich gesehen hast, was du schilderst, so bist du mehr als ein Mensch.« Von diesem Augenblick an gewann der Erforscher der Gräber das Aussehen eines erhabenen Helden, der gegen das antike, der Asche der Atriden selbst entstiegene Fatum kämpfte, um es zu bewältigen und zu vernichten.
    »Nicht ungestraft« – sagte er – «.legt ein Mensch Gräber bloß und sieht Toten ins Antlitz; und welchen Toten! – Jener lebt allein mit seiner Schwester, dem süßesten Geschöpf, das jemals Erdenluft geatmet; allein mit ihr, in einer Behausung voll Licht und Schweigen, wie in einem Gebet, wie in einem Gelübde ... Nun stelle dir einen vor, der, ohne es zu wissen, ein Gift trinkt, einen Liebestrank, irgendetwas Unreines, das ihm das Blut vergiftet und die Gedanken beschmutzt; ganz ahnungslos, während seine Seele in tiefstem Frieden ruht ... Stelle dir diesen Fluch vor, diese fürchterliche Rache der Toten! Er ist plötzlich von blutschänderischer Leidenschaft besessen und wird die elende und zitternde Beute eines Ungeheuers, kämpft einen verzweiflungsvollen geheimen Kampf, ohne Stillstand, ohne Entrinnen, Tag und Nacht, zu jeder Stunde und zu jeder Minute, um so wilder, je mehr das unbewußte Mitleid des armen Geschöpfes sich seinem Übel zuneigt ... Auf welchem Wege liegt für ihn das Heil? Vom Beginn der Tragödie an, von dem Augenblicke an, da die unschuldige Gefährtin zu sprechen beginnt, erscheint sie dem Tode geweiht. Und alles, was in den Episoden gesprochen wird und sich vollzieht, alles, was in den Zwischenspielen durch Musik, Gesang und Tanz ausgedrückt wird, alles dient dazu, sie langsam und unerbittlich dem Tode entgegenzuführen. Sie ist Antigones Schwester. In der kurzen tragischen Stunde schreitet sie vorbei, begleitet vom Lichte der Hoffnung und vom Schatten düsterer Ahnung, so schreitet sie vorbei, begleitet von Gesängen und von Klagen, von der hohen Liebe, die Wonnen gewährt, und von der rasenden Liebe, die Trauer gebiert, und nicht eher hält sie inne, als bis sie auf dem eisigkalten, klaren Wasser der Quelle entschlummert, die mit ihrem einsamen Klagen unaufhörlich nach ihr ruft. Kaum hat er sie getötet, so empfängt der Bruder durch sie, durch ihren Tod, das Geschenk seiner Erlösung. ›Jeder Flecken ist von meiner Seele gewaschen!‹ ruft er. ›Rein bin ich geworden, ganz rein. Die ganze Heiligkeit meiner früheren Liebe ist wie ein Strom von Licht meiner Seele wiedergekehrt... Wenn sie jetzt auferstünde, sie könnte über meine Seele schreiten wie über unberührten Schnee... Wenn sie wieder auflebte, so würden alle meine Gedanken für sie wie Lilien sein, schneeweiße Lilien ... Jetzt ist sie vollkommen, jetzt kann man sie anbeten wie eine göttliche Kreatur ... In die tiefste meiner Grabstätten will ich sie betten, und alle meine Schätze will ich um sie herum aufhäufen...‹ So wird die Todestat, zu der sein hellsehender Wahnsinn ihn hinriß, zu einer Tat der Reinigung und Befreiung und bezeichnet den Untergang des antiken Schicksals. Aus dem symphonischen Meere auftauchend, besingt die Ode den Sieg des Menschen, erhellt mit ungewohntem Licht das Düster der Katastrophe und hebt das erste Wort des erneuten Dramas auf den Gipfel der Musik.«
    »Die Gebärde des Perseus!« - rief Daniele Glàuro wie im Rausch. – »Am Ende der Tragödie schlägst du der Moira, der Schicksalsgöttin, das Haupt ab und zeigst es dem ewig jungen, ewig neuen Volke, das mit lauten Zurufen das Schauspiel beschließt.«
    Beide sahen vor sich wie im Traume das marmorne Theater auf dem Gianicolo, die Menschenmenge im Banne dieser Idee von Wahrheit und von Schönheit, die feierliche Sternennacht über Rom: sie sahen den begeisterten, rasenden Menschenschwarm den Hügel herabsteigen, in den rauhen Gemütern verworren die Offenbarung dieser Poesie mit sich tragend; sie hörten das Geschrei sich fortpflanzen im Schatten der ewigen Stadt. –
    »Und jetzt leb' wohl, Daniele« – sagte der Meister, den eiligen Schritt wieder aufnehmend, als ob jemand ihn erwarte oder nach ihm riefe.
    Die Augen der tragischen Muse hafteten unwandelbar im tiefsten Grunde seines Traumes, blicklos, versteinert in der göttlichen Blindheit antiker Statuen.
    »Wohin gehst du?«
    »Nach dem Palazzo Capello.«
    »Kennt die Foscarina schon den Plan deines Werkes?«
    »In vagen Umrissen.«
    »Und

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