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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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einer noch ungeborenen Welt, tief gesenkt.
    »Perseus!« – fügte nach einer inhaltschweren, gedankenreichen Pause der Seher hinzu. – »Unterhalb der Zitadelle von Mykenä befindet sich in einer Einsenkung eine Quelle, die Quelle des Perseus benannt: die einzig lebendige Sache an diesem Ort, in dem alles versengt und tot ist. Wie zu einem Bronnen des Lebens fühlen sich die Menschen zu ihr hingezogen in diesem Lande, in dem bis zur späten Dunkelzeit die Bette der ausgetrockneten Flüsse unheilvoll weiß erglänzen. Jeder Menschendurst wendet sich gierig nach ihrer Frische. Durch mein ganzes Werk hindurch wird man das Murmeln dieser Quelle vernehmen. Das Wasser, die Melodie des Wassers ... Ich habe sie gefunden! Im Wasser, im reinen Element, wird sich die reine Tat vollenden, die das Ziel der neuen Tragödie ist. Auf dem eisigkalten, klaren Wasser wird die Jungfrau entschlummern, die, wie Antigone, bestimmt ist, ohne Gatten zu sterben. Verstehst du? Die reine Tat bezeichnet das Ende des antiken Schicksals. Die neue Seele durchbricht mit einem Male den eisernen Ring, in den sie gezwängt war, mit einer Entschlossenheit, die vom Wahnsinn erzeugt ist, von einer verzückten, der Ekstase gleichenden Raserei, die wie eine vertiefte Vision der Natur ist. Die letzte Ode im Orchester singt die durch Schmerz und Opfer erlangte Rettung und Befreiung des Menschen, das ungeheuerliche Fatum ist besiegt, hier bei den Gräbern, in die das Geschlecht des Atreus hinabsank, angesichts der Leichen, selbst der Opfer. Verstehst du? Derjenige, der sich durch die reine Tat befreit, der Bruder, der die Schwester tötet, um seine Seele zu retten vor dem Entsetzlichen, das er ihr zufügen wollte, der hat in Wahrheit das Gesicht des Agamemnon gesehen!«
    Der Zauber des erschauten Grabesgoldes packte ihn von neuem,» die Lebhaftigkeit seiner inneren Vision verlieh ihm das Aussehen eines Hellsehers.
    »Einer der Toten dort überragt an Gestalt und Majestät alle andern; er ist geschmückt mit einer breiten goldenen Krone, mit Panzer, Schwertgehänge und goldenen Beinschienen; um ihn herum liegen Schwerter, Lanzen, Dolche, Trinkschalen; zahllose goldene Wurfscheiben, die gleich Blumenblättern mit vollen Händen über seinen Körper gestreut sind, bedecken ihn ganz; verehrungswürdiger als ein Halbgott liegt er da. Jener beugt sich über ihn, der in Licht zerfließen will, und hebt die schwere Maske ... Ach, sieht er nicht jetzt Agamemnons Antlitz? Ist das etwa nicht der König der Könige? Sein Mund ist geöffnet, seine Augenlider stehen weit offen ... Gedenkst du, gedenkst du Homers? ›Da erhub ich die Hände noch von der Erde, – Und griff sterbend ins Schwert der Mörderin. Aber die Freche – ging von mir weg, ohn' einmal die Augen des sterbenden Mannes – zuzudrücken, noch ihm die kalten Lippen zu schließen.‹ Erinnerst du dich? Und jetzt ... der Mund des Toten ist geöffnet, seine Augenlider stehen weit offen ... Er hat eine hohe Stirn, die mit einem breiten goldenen Reifen geschmückt ist; die Nase ist lang und gerade, das Kinn oval ...«
    Der Dichter hielt einen Augenblick inne, mit starrgeöffneten, weitblickenden Augen. Er sah, er war hellsichtig. Alles um ihn her verschwand, und seine Vision blieb als einzige Realität. Daniele Glàuro empfand es wie einen Schauer; denn er selbst wurde sehend durch diese Augen.
    »Ach, da ist auch der weiße Fleck an der Schulter! Er hat den Panzer abgenommen ... Der Fleck, der Fleck, das erbliche Mal in Pelops' Stamm ›mit der Elfenbeinschulter‹! Ist das nicht der König der Könige?«
    Die abgebrochenen, raschen Worte des Sehers schienen wie eine Folge von Blitzen, die ihn selbst blendeten. Er staunte selbst über diese plötzliche Erscheinung, über diese unvorhergesehene Entdeckung, die, im Unbewußten seines Geistes Licht gewinnend, sich nach außen offenbarte und beinahe greifbar wurde. Wie hatte er auf diesen Fleck an der Schulter des Pelopiden kommen können ? Aus welchem Hinterhalt seines Gedächtnisses war unvermutet diese so seltsame Eigentümlichkeit aufgestiegen, die zugleich so klar und deutlich war, wie die Personalbeschreibung eines gestern Verstorbenen?
    »Du warst dort!« – rief Daniele Glàuro wie im Rausch. – »Du selbst hast die Maske und den Panzer gelöst ... Wenn du wirklich gesehen hast, was du schilderst, so bist du mehr als ein Mensch...«
    »Ich habe es gesehen, ich habe es gesehen!«
    Wieder wurde er zum Schauspieler in seinem Drama, und mit Herzklopfen

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