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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Calahan
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Psychose war nun einer völligen Passivität gewichen. Diese Entrücktheit wurde manchmal noch von einigen wenigen leidenschaftlichen Hilferufen unterbrochen. In meinen wenigen scheinbar klaren Momenten – die in meiner eigenen Erinnerung genau wie die andere Zeit auch verschwommen oder völlig ausgelöscht sind – kam es meinem Vater so vor, dass ein ursprünglicher Teil von mir die Hand nach ihm ausstrecken würde, da ich immer und immer wieder sagte: »Ich sterbe hier drin. Dieser Ort bringt mich um. Bitte, lass mich gehen.« Diese Appelle schmerzten meinen Vater sehr. Er wünschte verzweifelt, mich aus dieser Situation zu befreien, die meiner Seele so wehtat, aber er wusste, dass es keine andere Option gab, als zu bleiben.
    Inzwischen sorgte sich meine Mama aus der Ferne. Sie hatte mich am Vormittag besucht, musste jedoch nachmittags wieder in die Innenstadt zur Arbeit und erkundigte sich in regelmäßigen Abständen bei meinem Vater über den aktuellen Stand der Dinge. Sie verbarg ihre Verzweiflung vor ihren Kollegen, konzentrierte sich stattdessen auf ihre große Arbeitsbelastung, aber ihre Gedanken kreisten ständig um mich. Erfolglos versuchte sie, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, wobei sie sich immer wieder sagte, sie müsse keine Schuldgefühle haben, mein Vater schaue ja nach mir.
    Schließlich kam ein junger Krankenpfleger, um mich zu der Lumbalpunktion abzuholen. Ruhig half er mir vom Bett in den Rollstuhl und bedeutete meinem Vater zu folgen. Nachdem sie sich einen Platz in dem beengten Aufzug erkämpft hatten, versuchte es der Krankenpfleger mit Small Talk.
    »Wie gehören Sie beide zusammen?«
    »Ich bin der Vater.«
    »Ist sie Epileptikerin?«
    Mein Vater war empört. »Nein.«
    »Oh. Ich frage nur, weil ich selber Epileptiker bin …«, sagte der Krankenpfleger und verstummte entschuldigend.
    Er fuhr mich von einer Aufzugsanlage quer durch die stadiongroße Halle zu einer anderen und schließlich in einen Wartebereich, in dem bereits fünf Transportliegen standen, jede mit einem eigenen Krankenpfleger und einem Patienten. Mein Vater platzierte sich vor meine Sichtlinie, sodass ich nicht in Versuchung kam, mein eigenes Schicksal mit dem der anderen um mich herum zu vergleichen. Sie ist nicht eine von denen, wiederholte er endlos in Gedanken, bis die Schwester mich aufrief, alleine in den Untersuchungsraum zu kommen. Er wusste, dass bei mir nur eine Lumbalpunktion vorgenommen wurde, aber er konnte seine Gedanken nicht daran hindern, sich schlimmere Szenarien vorzustellen. Es war der passende Ort dafür.

Kapitel 21
Eine Zeit ohne Tod
    S eit meiner stationären Aufnahme war beinahe eine Woche vergangen, aber innerhalb des Krankenhauses gab es kein Zeitempfinden. Stephen verglich die Atmosphäre mit Atlantic City, mit piepsenden Blutdruckmonitoren anstelle von Spielautomaten und traurigen, kranken Patienten anstelle von traurigen, kranken Spielern. Wie in einem Kasino gab es weder Uhren noch Kalender. Hier herrschte ein konstantes, statisches Klima; das Einzige, was die Zeit unterbrach, war die endlose Aktivität der Schwestern und Ärzte. Nach dem, was meine Familie mir erzählte, hatte ich zu zwei Pflegern eine gewisse Zuneigung entwickelt: Edward und Adeline. Krankenpfleger Edward, ein kräftiger Bursche mit einem warmen Lächeln, war auf der Station der einzige Mann unter lauter Krankenpflegerinnen, daher hielt man ihn oft fälschlicherweise für einen Arzt. Damit ging er locker um, bewahrte sich ein außergewöhnlich heiteres Gemüt und scherzte mit mir über die Yankees und die New York Post , seine Lieblingszeitung. Schwester Adeline hingegen, eine Filipina mittleren Alters, war höchst effizient, eine ehrliche Haut, die eine gesunde Dosis Disziplin zu bieten hatte. Offenbar wirkte sie beruhigend auf mich.
    Inzwischen hatte meine Familie einen festen Tagesablauf gefunden. Nachdem ich mich in der Gegenwart meines Vaters nun wieder wohlfühlte, kam er am Morgen, fütterte mich mit einem Frühstück, das aus Joghurt und Cappuccino bestand, und spielte Karten mit mir, wobei ich häufig zu desorientiert war, um dem Geschehen folgen zu können. Anschließend las er mir aus einem Buch oder einer Zeitschrift vor oder saß einfach ruhig neben mir und las in James Joyce Ein Porträt des Künstlers als junger Mann. Jeden Tag brachte er selbst gemachtes Feinschmeckeressen mit, beispielsweise mein Lieblingsdessert, einen Erdbeer-Rhabarber-Pie, auch wenn ich diese Speisen häufig an Stephen weitergab,

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