Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
einen Schlaganfall oder plötzlichen Tod verursachen. Wenn sie ein Computer wäre , dachte er, müsste man ihre Festplatte neu starten. Er empfahl, mir sofort zwei verschiedene Blutdruckmedikamente zu verabreichen.
Als Herr Dr. Friedman das Zimmer verließ, erkannte er meinen Vater, der im Wartebereich saß und ein Buch las. Als die beiden Männer sich darüber unterhielten, wie ich vor der Erkrankung gewesen war, beschrieb mein Vater mich als ein aktives Kind, eine geradlinige Einserschülerin, die leicht Freundschaften schloss, die intensiv spielte und hart arbeitete. Dieses Bild stand in scharfem Kontrast zu der verwirrten jungen Frau, die Dr. Friedman soeben untersucht hatte. Trotzdem schaute er meinem Vater direkt in die Augen und sagte: »Bitte bleiben Sie positiv. Es wird dauern, aber es wird ihr wieder besser gehen.« Als Dr. Friedman meinen Vater umarmte, brach dieser für einen kurzen Moment zusammen – ein kurzer Moment der Erschöpfung.
6 Purple heart, »Violettes Herz«, eine Auszeichnung der Streitkräfte der USA für Verwundete, ältester verwendeter militärischer Orden (Anm. d. Red.)
Kapitel 20
Tendenz steigend
I n den wenigen Wochen, seit meine seltsamen Symptome angefangen hatten, hatte mein Vater sehr viel mehr Zeit mit mir verbracht als gewöhnlich. Er war entschlossen, mich so gut es ging zu unterstützen, aber das forderte einen hohen Tribut von ihm; er hatte sich von seinem restlichen Leben zurückgezogen, sogar von Giselle. Seit meinem Zusammenbruch in seinem Haus hatte er auch begonnen, täglich Tagebuch zu schreiben, unabhängig von dem gemeinsamen mit meiner Mama. Dies sollte ihm nicht nur helfen, die medizinischen Entwicklungen zu verfolgen, sondern auch ihm persönlich, die Lage zu meistern. Nach meinem zweiten Fluchtversuch schrieb er einen herzzerreißenden Eintrag, dass er zu Gott bete, er möge ihn anstelle von mir zu sich nehmen.
Besonders deutlich ist ihm ein kalter, feuchter Morgen zu Frühlingsbeginn in Erinnerung, als er schweigend mit Giselle ins Krankenhaus fuhr. Er wusste, dass sie alles gegeben hätte, um ihm etwas von seinem Leid abzunehmen, trotzdem blieb er distanziert und ließ sich seine Qualen nicht anmerken, wie er es immer getan hatte.
Im Krankenhaus küsste er Giselle zum Abschied und zwängte sich in den überfüllten Aufzug. Es war sehr schmerzhaft, diese Fahrt im Aufzug mit den frischgebackenen Vätern machen zu müssen, die in die Entbindungsstation fuhren und von denen einige energisch aus dem Aufzug sprangen. Für diese Menschen begann das Leben gerade neu. Das nächste Mal hielt der Aufzug in der kardiologischen Abteilung, wo er lauter besorgt dreinblickende Menschen sah, und schließlich im zwölften Stock: Epilepsie. Nun war die Reihe an ihm auszusteigen.
Als er einen Gebäudeflügel durchquerte, der gerade renoviert wurde, fing er den Blick eines Bauarbeiters mittleren Alters auf, der schnell verlegen zu Boden schaute. In der zwölften Etage geschah nichts Gutes; jeder wusste das. Während der letzten drei Tage hatte mein Vater, während er seine Stunden in dem vorübergehenden, behelfsmäßigen Warteraum verbrachte, mitbekommen, was in den angrenzenden Zimmern vor sich ging. Die Geschichte im Zimmer direkt gegenüber war besonders traurig. Dort lag ein junger Mann, der in einen Schacht gestürzt war und dabei eine schwere Kopfverletzung erlitten hatte. Seine bereits bejahrten Eltern kamen jeden Tag, um ihn zu besuchen, aber niemand schien sich große Hoffnungen zu machen, dass er je wieder genesen würde. Mein Vater sprach ein kurzes Gebet und flehte Gott an, mein Schicksal möge anders sein als das dieses jungen Mannes. Dann atmete er tief durch, um sich darauf vorzubereiten, gleich zu sehen, in welchem Zustand er mich an diesem Morgen vorfinden würde. Man hatte mich gerade in ein anderes Zimmer verlegt, ein Einzelzimmer, was wie ein Schritt in die richtige Richtung schien. Auf dem Weg zu meinem Zimmer bemerkte er eine andere Patientin, die ihn heranwinkte.
»Ist das Ihre Tochter?«, fragte die Frau und deutete auf das Zimmer.
»Ja.«
»Ich finde es nicht gut, was man mit ihr macht«, flüsterte sie. »Ich kann nicht reden, weil wir überwacht werden.«
Diese Frau hatte etwas Sonderbares an sich und mein Vater merkte, wie sich sein Gesicht rötete, peinlich berührt von diesem Gespräch. Dennoch konnte er nicht anders, als die Frau ausreden zu lassen, insbesondere nachdem meine eigenen paranoiden Fantastereien sich durch ihre mahnrufartigen
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