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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Calahan
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Säulen, für jeden Wochentag eine, und vier Reihen für morgens, mittags, abends und nachts. Ich war an diesen Tablettenspender geradezu gefesselt.
    Meine Abhängigkeit von den Tabletten bedeutete, dass ich nicht unabhängig war, daher mochte ich sie nicht. Sie waren nicht nur ein Sinnbild für meinen kindlichen Status im Haus meiner Mutter, sondern machten mich auch schläfrig und langsam. Manchmal »vergaß« ich einfach, sie einzunehmen – eine unglaublich gefährliche Sache. Da ich nicht schlau genug war, die ausgelassenen Tabletten wegzuwerfen, blieb der Nachweis meiner Verfehlung sichtbar im Spender zurück, was meine Mutter warnte und wodurch sie sich veranlasst sah, mich zu schelten wie ein Kind. In vielerlei Hinsicht verband ich die Tabletten – und die Kämpfe, die sie verursachten – mit meiner Mutter. Praktisch gesehen brauchte ich sie, um die Tabletten zu portionieren, da diese Aufgabe zu dem damaligen Zeitpunkt für mich bei Weitem zu kompliziert war. In eher emotionalem Sinn jedoch empfand ich es so, dass sie, genau wie die Tabletten, meine verachtenswerte Abhängigkeit verkörperte. Heute muss ich zugeben, dass ich manchmal gemein zu ihr war.
    »Wie war dein Tag?«, fragte sie mich, wenn sie nach einem langen Arbeitstag im Büro des Bezirksstaatsanwalts nach Hause kam.
    »Schön«, antwortete ich kalt, ohne Einzelheiten zu nennen.
    »Was hast du den ganzen Tag über gemacht?«
    »Nicht viel.«
    »Wie fühlst du dich?«
    »Gut.«
    Ich schäme mich, wenn ich daran zurückdenke, da meine Mama und ich immer unzertrennlich gewesen waren und ich mir vorstellen kann, wie sehr sie das verletzt haben muss. Mir ist klar, dass ich ihr gegenüber noch immer einen grundlosen Groll hege aus Gründen, die heute so unverdient erscheinen. Obgleich das Krankenhaus eine unklare Erinnerung war, blieb irgendwo in meinem Unterbewusstsein eine Restwut aus dieser Zeit zurück. Irgendwie war ich davon überzeugt, sie habe nicht genügend Zeit bei mir im Krankenhaus verbracht, was weder wahr noch fair war. An irgendeinem Punkt war ihr Kummer, den sie tief in sich begraben hatte, unbewusst aufgetaucht und hatte sich über mich ergossen. Das Schlimmste war, dass der Kampf nicht endete, nachdem der Krankenhausaufenthalt vorüber war; nun musste sie mit dieser feindseligen Fremden, ihrer eigenen Tochter, die einmal ihre beste Freundin gewesen war, unter einem Dach leben. Anstatt jedoch Mitleid mit ihrem Leid zu haben, das sicher angemessen gewesen wäre und meines vielleicht sogar überstieg, fasste ich es als Affront auf – als ein Zeichen dafür, dass sie nicht damit umgehen konnte, wie sehr mich die Krankheit umgeworfen hatte.
    Sie sprach lang und breit mit Allen über diese Gefühle, verbarg sie unverständlicherweise jedoch vor meinem Vater. Wenn meine Eltern sich unterhielten, beredeten sie, wie es mir ging, und ließen sich kaum jemals auf irgendein persönliches oder müßiges Geplauder ein. Alle zwei Wochen jedoch kamen sie zusammen, um mich zu Herrn Dr. Najjar in die Praxis zu bringen. Jedes Mal reduzierte er meine Steroiddosis; als Nächstes würde Herr Dr. Arslan dem Beispiel bei den Antipsychotika und den angstlösenden Medikamenten folgen und deren Dosierung entsprechend der sich ändernden Steroiddosis reduzieren. Diese Termine waren erbaulich, da ich jedes Mal stetige Fortschritte gemacht zu haben schien und es so aussah, als würden meine Eltern besser zurechtkommen.
    Herr Dr. Arslan stellte immer dieselbe Frage: »Wo empfinden Sie sich auf einer Prozentskala von 0 bis 100?«
    Jedes Mal antwortete ich zuversichtlich, wobei nur mein errötendes Gesicht meine innere Unsicherheit verriet: »Bei 90 Prozent.« Wenn ich besonders zuversichtlich war, sagte ich: »95 Prozent.«
    Mein Vater stimmte mir immer zu, selbst wenn er es unterschiedlich empfand. Aber meine Mama warf manchmal behutsam ein: »Ich würde eher sagen 80 Prozent«, und selbst das war geschönt, wie sie später zugab.
    Auch wenn die Besserung ganz klar ein relativer Vorgang war – man muss wissen, woher man kommt, um zu sehen, wie weit man gekommen ist –, wollten wir bald eine Expertenmeinung einholen, da ich zwei Untersuchungstermine am New York University’s Rusk Institute for Rehabilitation Medicine hatte. Ich fürchtete den Termin. Obgleich es mir eindeutig besser ging, wollte ich keinen Beweis für meine fortgesetzte Unfähigkeit, einfache Aufgaben zu erfüllen. Meine Mama war jedoch unerbittlich und bestand darauf, dass ich hingehen

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