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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Calahan
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aufgequollen war und meine Worte noch immer zögernd und weitgehend einsilbig waren. Wenn man jedoch nicht zu genau hinschaute, wirkten Stephen und ich wie ein ganz normales hippes Paar.
    Die Zeremonie fand in einem Herrenhaus in Hudson Valley, New York, statt, wo Weinreben über die Türen hinweghingen und Wildblumen blühten, so weit das Augen reichte. Stephen und ich verbrachten die meiste Zeit neben der Behelfsküche, wo die Angestellten des Caterings mit den Vorspeisenplatten aus- und eingingen. Ich weiß nicht, ob die Steroide eine Zunahme des Appetits bewirken, ich hatte auf jeden Fall Heißhunger.
    Zu Beginn des Abends nahm meine Mutter mir das Versprechen ab, dass ich nur ein Glas Wein trinken würde. Ich verdrehte nur die Augen, bejahte und ging anschließend meiner Wege und trank mehrere Gläser Champagner. Wenn es etwas an mir gibt, was sich durch die Krankheit bestätigt hat, dann ist es meine Hartnäckigkeit oder Dickköpfigkeit oder wie auch immer man es nennen möchte. Mein Gehirn war noch dabei, sich zu regenerieren, und es ist zweifellos gefährlich, Alkohol mit Antipsychotika zu mischen, dennoch bestand ich darauf zu trinken. Es war mir egal, wie selbstzerstörerisch das sein mochte – es war etwas Greifbares, was mich mit der »normalen« Susannah verband. Wenn die alte Susannah zum Essen ein oder zwei Gläser Wein trank, würde es diese Susannah auch tun. Ich konnte nicht lesen, konnte kaum Small Talk machen und konnte nicht Auto fahren, aber, verdammt noch mal, ich würde auf einer Hochzeit ein paar Gläser Champagner trinken. Meine Mutter versuchte, mich zu bremsen, aber sie wusste, dass sie über meine Sturheit keine Kontrolle hatte: Ich würde tun, was mir gefiel. Letztendlich repräsentierte der Alkohol Unabhängigkeit und alle um mich herum beschlossen, das, was von meiner Würde geblieben war, am besten nicht zu zerstören.
    Als der Song »Build Me Up Buttercup« gespielt wurde, tanzte ich mit Stephen sogar einen Twist. Für mein Gefühl rockte ich die Tanzfläche, ohne auf die Schmerzen und Qualen in meinen Schienbeinen und die Tatsache zu achten, dass ich sehr viel schneller ermüdete als früher. (Später erfuhr ich von meiner Stieffamilie jedoch, dass ich mich nicht wie eine Profitänzerin bewegt, sondern wie ein Roboter und benommen gewirkt hatte.)
    Trotz meiner Versuche, unbekümmert und sorglos zu wirken, achtete ich überempfindlich darauf, wie mich die Leute behandelten. Da es sich um ein Familienfest handelte, kam als erste Frage von jedermann: »Wie geht es dir?« Die Frage war in diesem Stadium nicht zu beantworten. Sie war jedoch nicht das Schlimmste. Das war der unecht enthusiastische, sorgsame Tonfall, in dem die Leute sprachen; sie sprachen von oben herab, als sei ich ein Kleinkind oder ein sehr alter Mensch. Es war demoralisierend, aber ich konnte sie nicht wirklich tadeln. Niemand hatte eine Ahnung davon, was in meinem Kopf vor sich ging.
    Meine Mutter war jedoch stolz zu sehen, dass ich mich amüsierte – zumindest bis ein anderer Hochzeitsgast ihre stille Bewunderung zerstörte.
    »Es tut mir so leid zu hören, was mit Susannah passiert ist«, sagte die Frau und umarmte sie. Meine Mutter wird nicht gerne von Fremden berührt.
    »Danke«, sagte sie und versuchte, ein Auge auf mich zu haben.
    »Es ist so traurig. Sie ist so anders. Sie hat ihren Schwung fast vollständig verloren.« Bei diesen Worten wendete meine Mama ihren Blick von der Tanzfläche und warf der Frau einen vernichtenden Blick zu. Es hatte viele Augenblicke gegeben, in denen sich jemand unsensibel verhalten hatte, aber das war einer der schlimmsten. »Ich meine«, fuhr die Frau fort, »glauben Sie, sie wird jemals wieder so wie früher werden?«
    Meine Mama strich ihr ebenfalls rosa Kleid glatt, ging achselzuckend an der Frau vorbei und sagte durch die zusammengepressten Zähne: »Es geht ihr sehr gut.«

Kapitel 39
Im Normbereich
    O bwohl ich bereits beträchtliche Fortschritte bei meiner Erholung gemacht hatte, würden sich meine Tage noch viele weitere Monate um die bonbonfarbenen Medikamente drehen, die ich sechsmal täglich einnehmen musste. Jede Woche brachte meine Mutter eine Stunde damit zu, meine Tabletten in einen Spender von der Größe eines Schuhkartondeckels zu verteilen. Häufig brauchte sie mehrere Versuche, um die sehr komplizierten und sich immer wieder ändernden Dosen richtig hinzubekommen. Die Pillenbox war in gelbe, rosa, blaue und grüne Fächer unterteilt und besaß sieben

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