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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Calahan
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Ziel.
    Die Frontallappen sind weitgehend für komplexe Handlungen zuständig, was Fachleute dazu veranlasst, sie als CEO zu bezeichnen. Sie sind erst bei etwa 20-Jährigen voll entwickelt, wodurch manche Fachleute versucht sind, die Hypothese aufzustellen, die Reife der Frontallappen unterscheide Kinder von Erwachsenen. Eines ist jedoch sicher: Die Frontallappen machen uns kreativ, menschlich und einfach weniger langweilig.
    (Was geschieht, wenn der Frontallappen beschädigt wird, wissen wir auf schreckliche Weise durch die umstrittenen Lobotomien, die in den 1950er- und 1960er-Jahren durchgeführt wurden. Eine dieser Methoden, eine mit einem an einen Eispickel erinnernden Instrument durchgeführte Lobotomie, die durch Rosemary Kennedy berühmt-berüchtigt wurde, war ein Verfahren, bei dem der Arzt das Augenlid des Patienten zurückschob, über dem Augapfel einen Metallstift einführte, bis dieser oben auf die Augenhöhle traf, und ihn dann mehrere Minuten ins Gehirn stieß. Dieser unpräzise Vorgang zerstörte mehrere Verbindungen zum Frontallappen und führte zu Ergebnissen, die von emotionaler Abstumpfung bis zu kindischem Verhalten reichten. Einige Patienten waren im Anschluss sogar zu keinem ernsten Gedanken oder Gefühl mehr in der Lage – wie Randle McMurphy, der von Jack Nicholson in dem Film Einer flog über das Kuckucksnest gespielt wird.)
    Auch wenn meine Frontallappen vielleicht länger brauchten als andere Bereiche, um wieder in Ordnung zu kommen (wie einige neuere Forschungen zeigen), war nichtsdestotrotz eine Besserung festzustellen. Im Krankenhaus hatte ein Arzt die Funktion meines Frontallappens als »nahe null« beschrieben. So hatte es also letztlich eine Besserung von null ausgehend gegeben.
    Als wir das Abendessen beendet hatten, war ich so erschöpft, dass ich den Kopf auf den Tisch legte und die gesamte Unterhaltung verschlief, bis ich von meinem eigenen Schnarchen aufwachte. Mich selbst wach schüttelnd, stieg ich die steile Metalltreppe zum Dockinglautsprecher hinauf, in dem mein iPod steckte. Ich hatte mir kürzlich den Song »Umbrella« von Rihanna heruntergeladen, obwohl er seit ein paar Jahren out war und auch nicht unbedingt meinem Musikstil entsprach. Nun erklang ihr stilisierter, R&B-angehauchter Gesang in der Sommernacht.
    Ich schaute voller Zärtlichkeit hinunter zu meinem Vater, Stephen und Giselle und wiegte mich, plötzlich von heiterer Energie erfüllt, zur Musik. Die Musik dudelte und ich fing an, mich zu dem Beat zu bewegen, beinahe geistesabwesend, bis ich so richtig rockte, vielleicht nicht wirklich anmutig, aber nicht annähernd so steif und roboterähnlich wie bei der Hochzeit einen Monat zuvor. Giselle war ergriffen von dem Glanz in Stephens Augen, als er nach oben blickte und mich so frei tanzen sah. Lange hatte es geschienen, als lebe ich in einer Art »Laufkoma«, aber nun sahen alle die Lebendigkeit in diesem ungelenken Reggae-Tanz.
    Stephen gesellte sich dazu, nahm mich in die Arme und wirbelte mich herum, während wir darüber lachten, wie albern wir aussahen. Mein Vater und Giselle nahmen sich an der Hand und tanzten langsam zu dem fröhlichen Song.

Kapitel 41
Chronologie
    D as Gehirn ist äußerst belastbar; es kann neue Neuronen generieren und durch eine Neubelegung im Kortex neue Verbindungen knüpfen; diesen Vorgang nennt man Neurogenese. Unser Gehirn hat die unglaubliche Fähigkeit, sowohl die Stärke der Verbindungen zwischen Neuronen zu verändern, insbesondere diese neu zu vernetzen, als auch völlig neue synaptische Wege zu erzeugen. (Das Gehirn lässt damit einen Computer, der keine neue Hardware generieren kann, wenn sein System zusammengebrochen ist, unbeweglich und hilflos erscheinen.) Diese erstaunliche Formbarkeit wird als Neuroplastizität bezeichnet. Wie Narzissen in den ersten Frühlingstagen trieben meine Neuronen neue Rezeptoren aus, als der Winter der Krankheit sich zurückzog.
    Während des schrecklichen dritten Krankenhausaufenthalts kam der Moment, an dem ich tatsächlich erwachte; ich fing an, ein Tagebuch zu führen, las es erneut und äußerte erstmals den Wunsch zu verstehen, was mir widerfahren war. Vielleicht liegt es daran, dass das Tagebuch eine physische Evidenz meines wiederaufkeimenden Selbst liefert (ich kann die Gedanken dieser verwundeten Susannah im wahrsten Sinn des Wortes lesen), dass ich erste wesentliche Erinnerungen daran hatte, wie es war, sie zu sein, anders, als die frühere Susannah in den paranoiden

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