Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
auf der Hochzeit einige Wochen zuvor, fühlte ich mich, als versuche mein Ich mit der Außenwelt zu kommunizieren, könne jedoch den kaputten Vermittler, meinen Körper, nicht überwinden.
Am Ende unseres letzten Gesprächs fragte mich Frau Dr. Bertisch, was ich als mein drängendstes Problem empfände. »Probleme mit der Konzentration. Mit meinem Gedächtnis. Das Finden der richtigen Worte«, antwortete ich ihr.
Sie fand das beruhigend. Ich hatte genau das definiert, was bei mir nicht stimmte. Patienten mit neurologischen Problemen können oft nicht richtig identifizieren, was los ist. Ihnen fehlt die Selbstwahrnehmung, um verstehen zu können, dass sie krank sind. Paradoxerweise war meine Fähigkeit, meine eigenen Schwächen zu erkennen, also eine Stärke.
Das erklärte auch, warum gesellschaftliche Situationen für mich so hart waren: Mir war bewusst, wie langsam und merkwürdig ich meiner Umgebung erschien, insbesondere Leuten, die mich vor meiner Krankheit gekannt hatten. Ich äußerte Frau Dr. Bertisch gegenüber diese Unsicherheit und gab zu, dass ich mich in einer Gruppe häufig deprimiert und unruhig und ängstlich fühlte. Sie schlug eine kognitive Rehabilitation vor, alleine und in einer Gruppe, außerdem eine Einzelpsychotherapie, um die Symptome der Depression und ängstlichen Unruhe anzugehen, sowie eine Gruppentherapie mit jungen Erwachsenen.
Letztlich war ich jedoch meiner selbst so unsicher, dass ich nichts davon tat. Rückblickend war das ein großer Fehler: Nach einer Verletzung oder Krankheit gibt es im Gehirn ein Zeitfenster für Spontanheilung und es ist am besten, jede Gelegenheit zu einer schnelleren Revitalisierung zu nutzen. Auch wenn unklar ist, welche Rolle die kognitive Rehabilitation bei der Genesung von dieser Krankheit spielt, wäre ich wahrscheinlich schneller geheilt gewesen, wenn ich es getan hätte. Doch diese Sitzungen unterstrichen meine innere Zerrissenheit nur noch weiter und ich war nicht gewillt, sie fortzusetzen. Ich ging nie mehr zu einer Kontrolluntersuchung. Ich brauchte sogar ein ganzes Jahr, bis ich mich entschließen konnte, Frau Dr. Bertisch ausfindig zu machen und mir die Ergebnisse dieser einen Testgruppe geben zu lassen. An diesem Punkt hatte ich noch nicht den Nerv, mich damit zu konfrontieren, wie schlecht es mir tatsächlich ging.
Kapitel 40
Umbrella
I ch konnte nicht anders, als einen weiteren Krankenhausaufenthalt als Rückschritt auf dem Weg zur Genesung zu betrachten. Als Herr Dr. Najjar daher meine Mutter Ende Mai anrief, um ihr mitzuteilen, dass ich zu einer weiteren IVIG-Behandlung ins Krankenhaus kommen müsse, war ich sehr niedergeschlagen. Beim Gedanken an das grelle Licht im Krankenzimmer, das ständige Hereinkommen der Schwestern und dieses schreckliche vorgewärmte Essen schauderte ich. Um mich abzulenken, lud mein Vater Stephen und mich ein, den Abend in seinem schattigen Hinterhof zu verbringen, einer Oase mitten in Brooklyn Heights, etwas, was wir jetzt mindestens einmal pro Woche machten. Wir aßen Gegrilltes, tranken Sangria und trugen Sombreros. Eine bunte Weihnachtslichterkette war entlang des Hofes aufgehängt und im Hintergrund spielte Ryan Adams.
Ich blieb den Großteil des Abends schweigsam, während Stephen, Giselle und mein Vater sich unterhielten. Immer wenn sie versuchten, mich in das Gespräch einzubeziehen, schüttelte ich den Kopf und kehrte wieder zu meinem unbewussten Lippenschmatzen zurück.
»Ich bin langweilig. Ich habe nichts zu sagen. Ich bin nicht mehr interessant«, wiederholte ich immer wieder.
»Du bist alles andere als langweilig«, antwortete mein Vater unbeirrt. Es brach ihm das Herz, mich so etwas sagen zu hören. Einige Jahre später gestand er mir in demselben Hinterhof und unter derselben Lichterkette, dass er bei dem Gedanken an diese Worte heulen könnte.
Aber niemand, nicht einmal mein Vater, konnte mich vom Gegenteil überzeugen. Ich war langweilig, daran bestand kein Zweifel. Langweilig zu sein, war vielleicht das härteste Urteil über mein neues Leben. Teilweise lag dies an den Antipsychotika, denn diese Medikamente sind dafür bekannt, Benommenheit, Verwirrung und Müdigkeit zu verursachen. Dennoch war mein kaputtes Gehirn selbst wahrscheinlich der signifikanteste Grund für meinen neuen Mangel an Geist. Wahrscheinlich erregten die elektrischen Impulse die Neuronen in meinen Frontallappen nicht adäquat oder sie hatten Fehlzündungen und die Informationen brauchten länger zu ihrem angestrebten
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