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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Calahan
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las jede Zeile mehrmals; es gab Momente, in denen gelacht wurde, und ernste Zeiten und es gab so herzzerreißende Passagen, dass ich am liebsten zu ihm nach Brooklyn geeilt wäre, um ihn fest zu umarmen. Aber ich wusste es besser. »Um vorwärtszugehen, muss man die Vergangenheit hinter sich lassen.« Wenn ich auch für meinen Teil dazu noch nicht bereit war, konnte ich zumindest ihm zuliebe seinem Motto folgen, soweit es ihn betraf. Mein starker irischer Beschützer hatte im Innersten einen weichen Kern, und seine Liebe zu mir, die ich während unserer stürmischsten Zeiten infrage gestellt hatte, war unermesslich. »Ich weiß nur, dass sie am Leben ist und dass ihr Geist unversehrt ist. Wir müssen mit weiteren Krankenhausaufenthalten für verschiedene Behandlungen, mit Arztbesuchen und vielen Medikamenten fertigwerden, aber mein Baby ist auf dem Weg nach Hause«, endet das Tagebuch.
    Auch wenn ich mich bei meinem Vater nie richtig bedankt habe – genauso wenig wie, wenn wir schon dabei sind, bei meiner Mama, bei Stephen, meinen Freunden oder den Ärzten und Schwestern –, treffen wir uns nun regelmäßig zum Essen, was eine gewaltige Verbesserung gegenüber unserer vorherigen Einmal-alle-sechs-Monate-Beziehung darstellt. Manchmal kommt es heute während eines Essens vor, dass wir uns in die Augen schauen und in einer Art Geheimcode zu sprechen beginnen, der als eine jenseitige Verbindung bezeichnet werden könnte, die ungewollt alle anderen am Tisch ausschließt. Mir war nicht klar, wie unhöflich wir häufig waren, bis Giselle es später einmal zur Sprache brachte. »Ich glaube nicht, dass ihr Guten euch dessen bewusst seid«, gestand sie, »aber manchmal ist es für die Menschen um euch herum wirklich schwer, sich eingeschlossen zu fühlen.«
    Wir hatten nicht die Absicht, andere auszuschließen. Mein Daddy und ich waren in den Krieg gezogen, hatten in den Schützengräben gekämpft und waren allen Widrigkeiten zum Trotz lebend und unversehrt davongekommen. Nur wenige andere Erfahrungen können zwei Menschen einander so nahebringen, wie gemeinsam dem Tod ins Auge zu blicken.
    Im Gegensatz zu meiner neu gefundenen Verbindung zu meinem Vater gab es seit meiner Krankenhausentlassung die dunkle Wolke der Tabletten und weiterer Dinge, die über meiner Mutter und mir hing. Ich denke, genau weil meine Mutter und ich vor der Krankheit ein so enges Verhältnis gehabt hatten, litt unsere Beziehung so sehr darunter. Vielleicht lag es daran, dass mein Dad eher so etwas wie eine Randerscheinung in meinem Leben gewesen war und nicht so eine dominierende Kraft wie meine Mutter, dass es für ihn leichter war, sich auf mein neues »Ich« einzulassen.
    Um die Situation zu bewältigen, schrieb meine Mutter die Geschichte meiner Krankheit aktiv um, wobei sie beharrlich behauptete, dass ich »nie wirklich so krank« war und dass »sie immer wusste, dass ich mich wieder erholen« würde. Sie sagte sich, ich sei zu stark, um für immer krank zu bleiben.
    Sie konnte sich nicht mit der Tatsache abfinden, dass ich noch nicht vollkommen wiederhergestellt war, bis zu einem Nachmittag mitten im Sommer, als nur wir beide bei J. B. Winberie’s in Summit zum Essen gingen. Es war ein herrlicher Abend, eine leichte Brise säuselte in den Sonnenschirmen über den Terrassenmöbeln, daher setzten wir uns nach draußen und bestellten Fisch als Vorspeise und für jede ein Glas Weißwein. Beim Essen fing ich an, ihr Fragen darüber zu stellen, wie ich mich in diesen Tagen in Summit verhalten hatte, bevor ich stationär im Krankenhaus aufgenommen worden war. Ich hatte nur verschwommene Erinnerungen und war nicht sicher, was daran der Realität entsprach und was nicht. Die ganze Sache war ein Rätsel für mich und ich war begierig darauf zusammenzusetzen, was geschehen war.
    »Du warst einfach außer dir«, sagte sie. »Erinnerst du dich an das EEG, das aufgezeichnet wurde?«
    EEG? »Nein.« Nachdem ich jedoch eine Weile in meinem Gedächtnis nachgeforscht hatte, erinnerte ich mich an etwas: die Schwester in Dr. Baileys Praxis mit ihrem Stroboskop. Anders als bei der nervenaufreibenden Szene im Krankenhausvideo, einem Moment, der wahrscheinlich nie in meinem Gehirn kodiert worden war, hatte ich diese Erfahrung aktiv erlebt und abgespeichert. Das Problem war, sie wieder abzurufen. Wenn das Gehirn arbeitet, um sich an etwas zu erinnern, zünden ähnliche Neuronenmuster wie bei der Wahrnehmung des ursprünglichen Ereignisses. Diese Netzwerke sind

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