Feuer in eisblauen Augen
ein Eichhörnchen witterte, bei all den Düften und Gerüchen, die in der Luft hingen.
Annie hatte noch niemals eine Show abgebrochen. Ganz gleich, ob sie krank war, ob ein heftiges Gewitter niederging, sie zog ihre Vorstellung immer durch. Aber heute quälte sie eine böse Vorahnung.
Sie spürte, dass Emily in Gefahr war. So schnell wie heute hatte Annie sich noch nie abgeschminkt und sich umgezogen. Im ersten Moment wäre sie am liebsten hinter Mark hergelaufen, dann jedoch überlegte sie es sich anders. Das Kind würde genau wie Mark wieder hierher zurückkommen und sie suchen.
Sie war sehr beunruhigt. Normalerweise war sie Optimistin und glaubte, dass schon alles gutgehen würde. Das war heute anders.
Annie kaufte sich bei einem fliegenden Händler eine Flasche Wasser und trank hastig, weil sie so durstig war. Da sah sie auch schon Mark, der angerannt kam. Die Enttäuschung war ihm am Gesicht abzulesen. Dicke Schweißperlen liefen über seine Stirn. Die roten Bändchen klebten in seinen schweißnassen Haaren. Anscheinend hatte er gehofft, dass Emily inzwischen bei Annie wäre.
“Es muss etwas passiert sein. Ich kann sie nicht finden”, sagte Mark aufgeregt. Er nahm das Handy aus der Hosentasche, um Hilfe herbeizutelefonieren.
Annie sah ihm schweigend zu. Plötzlich spürte sie eine feuchte Hundeschnauze am Bein. Kitsu stand heftig atmend mit hängender Zunge neben ihr, und sah sie mit seinen klugen Augen an. Annie beugte sich zu ihm. “Kitsu, wo ist Emily?”, fragte sie mit zitternder Stimme. Der Hund bellte kurz.
Mark sah ihr ungeduldig zu. “Annie, glaubst du denn wirklich, dass aus diesem Höllenhund plötzlich Lassie geworden ist? Ich werde jetzt wieder loslaufen und nach Emily suchen. Du solltest hier auf die Polizei warten.”
“Nein, Mark. Ich vertraue Kitsu. Gib dem Hund eine Chance! Lass mich jetzt mit Kitsu suchen, während du hier auf die Polizei wartest.” Sie sah in Kitsus kluges Gesicht.
“Kitsu, such Emily!”, befahl sie mit fester Stimme. Annie kam kaum schnell genug hoch, um dem Hund zu folgen, der plötzlich losraste.
“Es ist nicht zu fassen, du jagst mit Kitsu ein Eichhörnchen, und Emily ist vielleicht in Lebensgefahr!”, schimpfte Mark.
Annie ließ sich jedoch nicht beirren. Sie hoffte, dass ihr Instinkt sie nicht trog. Der Hund schien sein Ziel genau zu kennen. Nur selten blieb er stehen, hob die Nase hoch, witterte kurz, um dann wieder loszujagen.
Annie hatte aufgehört zu denken. Sie brauchte alle Energie, um Kitsu zu folgen. Allmählich quälten Annie jetzt bange Zweifel, ob Kitsu sie wirklich zu Emily führen würde. In Abständen wiederholte sie ihr Kommando “Such Emily, Kitsu, such!”.
Inzwischen lag die Festwiese weit hinter ihnen, und vor ihnen dehnte sich eine menschenleere Fläche aus, die zum Strand hin leicht abfiel. Eine Mauer, die sich in der Ferne verlor, grenzte das Land vom Pazifik ab. Annies Mut sank, als Kitsu sie an die Mauer führte und abrupt stehen blieb. Der Hund gab kurz Laut und sprang immer wieder an der Mauer hoch. Annies Lungen schmerzten vom schnellen Laufen. Sie fragte sich, ob ihre Anstrengung umsonst gewesen sein sollte. Sie konnte hier keine Spur von Emily entdecken, und die Flut kam schon heran.
Kitsu hörte nicht auf, aufgeregt an der Mauer hochzuspringen. Annie lehnte sich weit über die dicke Mauer und hoffte auf ein Wunder. Was sie sah, konnte sie zuerst nicht glauben.
Nahe am Wasser lag Emily auf der Seite, und sie war bei Bewusstsein. Voll Freude rief Annie ihren Namen und ließ den Hund von der Leine. Kitsu war inzwischen außer Rand und Band vor Freude und sprang in Windeseile über die Mauer. Emily begrüßte ihn zärtlich.
Annie war eben im Begriff, auch über die Mauer zu klettern, als sie jemanden kommen hörte. Das konnte nur Mark sein. Anscheinend hatte er sich im letzten Moment doch noch an Kitsus Training und dessen ungewöhnliche Fähigkeiten erinnert. Annie hatte sich inzwischen über die Mauer geschwungen und rutschte den mit Geröll übersäten Hang hinunter. Aber Mark war schneller. Mit einem riesigen Sprung landete er neben Emily.
Die Erleichterung war groß, dass Emily noch rechtzeitig vor den herannahenden Fluten gerettet worden war. Jetzt sprachen alle auf einmal, und Kitsu bellte vor Freude. Emily war sehr blass, und als Annie sie umarmte und küsste, war es mit ihrer Tapferkeit vorbei. Sie begann haltlos zu schluchzen, und Tränen liefen über ihr Gesicht. Annie musste schlucken, um nicht ebenfalls
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