Feuer: Roman (German Edition)
lange. »Das hier habe ich nicht erwartet. Das Haus sieht von außen so modern aus.«
»Ist es auch«, antwortete Angela. »Jedenfalls der Teil, der über der Erde steht.« Sie hob die Schultern und machte eine ungeduldige Handbewegung. Zu seiner Überraschung fuhr sie jedoch auf dem Weg nach unten fort: »Das Ganze hier war mal eine alte Schmiede. Während des Kriegs wurde sie bombardiert und ist vollkommen abgebrannt, aber die Kellergewölbe sind erhalten geblieben. Mein Großvater hat das Grundstück gekauft und alles restaurieren lassen, so gut es eben ging. Leider war außer dem Keller nicht mehr allzu viel da, das man wieder aufbauen konnte.«
»Warum?«
»Weil die Amis ziemlich gründlich waren«, antwortete Angela. »Hast du schon einmal gesehen, was eine Brandbombe anrichten kann?«
Ob er das schon einmal gesehen hatte? Will hätte um ein Haar hysterisch aufgelacht. Er erinnerte sich daran. Er spürte die ausgetretenen Holzstufen unter seinen Füßen, als er Clara hinterhergeeilt war, er sah die verkrümmte, verkohlte Gestalt vor sich, die vor ihm auf dem schweren Teppich im Flur lag und sich in Agonie wand, als er die Tür zur Wohnung des Ordens aufgestoßen hatte, und er spürte die Angst um Clara, die ihn zu verschlingen drohte, noch bevor das fürchterliche Feuer in der Wohnung sie verheeren konnte, das grausamer und tobender war als die flammende Hölle, in die die Phosphorbombe das Haus in der schrecklichen Bombennacht verwandelt hatte …
… und ich spürte, wie die Flammen meine Hosenbeine heraufkrochen, langsam und doch unaufhaltsam, und ich sah Clara, wie sie sich umdrehte, die Augen weit aufgerissen und auf einen Punkt hinter mich gerichtet, und ich begriff, dass sie dort jemanden – etwas sah – und voll banger Vorahnung drehte ich mich um …
Will versuchte die Bilder, die aus seinem Unterbewusstsein aufsteigen wollten, mit aller Gewalt zurückzudrängen. Es gelang ihm kaum. Es war, als wehe der Hauch längst vergangener Zeiten in ihm empor, als zwänge ihn etwas, sich mit Dingen auseinander zu setzen, die, längst vergangen, nach ihm greifen wollten. Mit aller Willenskraft, die er aufbringen konnte, konzentrierte er sich darauf, auf den nicht nur ausgetretenen, sondern auch spiegelglatten Stufen nicht auszurutschen, während er weit langsamer als nötig vor Angela in die Tiefe stieg. Wie lang war diese elende Treppe eigentlich, die ihn so sehr an eine ganze andere Treppe in einer anderen Zeit – oder in anderen Zeiten – erinnerte, an die Treppe in dem von einer Phosphorbombe vernichtend getroffenen Haus in einer gemarterten Stadt, und an eine Steinstiege in einem mittelalterlichen Kellergewölbe, die er auf der Flucht vor den Spaniern hinabgestiegen war, auf der Suche nach Clara … oder hatte sie Maria geheißen?
»Ich kann mir … lebhaft vorstellen, was Brandbomben anrichten können«, sagte er mühsam. Er musste sich ein paar Mal räuspern, bevor er weitersprechen konnte: »Wieso … wieso hat dein Großvater eine ausgebombte Schmiede gekauft?«
Er konnte Angelas Schulterzucken hinter sich spüren. »Aus Sentimentalität, nehme ich an«, sagte sie. »Wir haben eine lange und ziemlich verworrene Familiengeschichte, die ich ehrlich gesagt nie ganz begriffen habe. Aber einer unserer Vorfahren war Schmied, und wenn ich richtig informiert bin, ist er wohl derjenige gewesen, der den Grundstein für unser kleines Imperium gelegt hat – rechts lang, bitte, und zieh den Kopf ein. Die Decke ist ziemlich niedrig.«
Will gehorchte und stieß sich trotzdem den Kopf, als er am Ende der Treppe angekommen war und sich nach rechts wandte. Der ganze Raum war allerhöchstens zwei Meter hoch, und selbst das nur in der Mitte der Gewölbedecke.
»Ich habe dich gewarnt«, sagte Angela spöttisch.
Will blieb stehen und warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. »Geh vor«, knurrte er.
Angela lachte noch ein bisschen spöttischer und ging an ihm vorbei, wobei sie mit einer geschickten Bewegung den Kopf einzog, die ihn nicht nur ärgerte, sondern ihm auch verriet, dass sie anscheinend sehr oft hier unten war. Es dauert eine ganze Weile, bis eine solche Bewegung in Fleisch und Blut übergeht.
Mit jedem Schritt, den er Angela folgte, fühlte er sich unwohler. Der Keller war niedrig, aber sehr groß, was die Proportionen auf eine sonderbare Weise zu verzerren schien, und obwohl es nicht die geringste Ähnlichkeit gab, fühlte sich Will auf unangenehme Weise an den Keller in der ausgebrannten Villa in
Weitere Kostenlose Bücher