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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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so dass er sie gar nicht übersehen konnte.
    Es gab nur eine Erklärung. Sie lag unter dem Auto.
    Will stöhnte auf. Wer bei einem Überschlag aus dem Wagen geschleudert wurde, lief Gefahr, von einer Tonne knirschendem, berstendem Metall getroffen und regelrecht in den Boden gestampft zu werden. Die Überlebenschancen waren in einem solchen Fall gleich null, vor allem, wenn der Wagen nicht gleich auf die Seite gekippt wurde und Notarzt oder Rettungshubschrauber innerhalb kürzester Zeit an Ort und Stelle waren.
    In Wills Gedanken war kein Platz mehr für irgendeinen anderen Gedanken als den an sein Mädchen – seine Tochter! Vor seinen inneren Augen sah er sie zerschmettert, in den Boden gerammt von dem zischenden Koloss aus Stahl und Kunststoff, der einen Todeskampf ganz eigener Art kämpfte, während er sein Opfer so fest in den Matsch drückte, dass es kaum noch atmen konnte, selbst wenn es den Aufprall als solchen wie durch ein Wunder überlebt haben sollte.
    Ich war sicher, dass Ida in der Schmiede war. Bis auf das tote Kind hatte ich hier niemanden gesehen, weder meine Gesellen Ans gar und Eckwin noch Guntram, meinen Stellvertreter, der mir mit seinem Leben dafür haftete, dass das Schmiedefeuer nicht ausging; und das konnte nur eines bedeuten: Sie hatten mich schmählich im Stich gelassen, waren vor einer Gewalt geflohen, die zu hüten während meiner Abwesenheit ihre Aufgabe gewesen war.
    Und sie hatten Ida, meine Tochter, die künftige Bewahrerin des Feuers, in der Schmiede zurückgelassen, schutzlos den Gewalten ausgeliefert, die sich ihrer bemächtigen wollten.
    Seine Schwäche war vergessen. Eine feurige Welle frischer Kraft lief durch Wills Körper, vielleicht so etwas wie das letzte Aufbäumen, vielleicht aber auch Energie, die freigesetzt wurde, wenn ein Vater sein Kind in Todesgefahr wähnt. Es gab glaubhafte Berichte von Müttern und Vätern, die einen schweren Wagen hochgehoben hatten, wenn ihr Kind darunter eingeklemmt war; ein unfassbares Kunststück, bei dem eigentlich Muskelfasern und Sehnen wie Papier reißen mussten, wenn man es entgegen aller Logik überhaupt zu vollbringen in der Lage war. Will drehte sich um, schwankend wie Wladimir Klitschko nach einem besonders schweren Treffer, aber von dem gleichen unbeugsamen Willen beseelt, bis zum Ende durchzuhalten.
    Mit den Handballen stützte er sich unter dem Türholm ab. Seine Füße wanderten nach hinten und gruben sich geradezu in den Schlamm ein, um einen möglichst festen Stand zu ermöglichen. Die feurigen Wogen, die durch seinen Körper liefen, schienen sich mit der Hitze zu vereinen, die über den Türholm regelrecht auf ihn übersprang. Gerade, als er sich für den alles entscheidenden Kraftausstoß spannte, begann sich das blaue Blitzgewitter an der Fahrertür zusammenzuziehen, und dann explodierte es regelrecht. Zischelnde Entladungen fuhren nach oben, auf ihn zu, und dann schlugen sie direkt neben ihm in den Holm ein, brutzelten die Schmutz- und Farbschicht weg und gruben zischende Spuren ins Metall.
    In jeder anderen Situation hätte Will sofort losgelassen, doch jetzt hatte er kaum Augen für das bizarre Schauspiel. Er hatte tief eingeatmet, und als er jetzt die Luft ausstieß, schoss die ganze Verzweiflung in seine Hände, und all das, was er je für Martina empfunden hatte und sich nun auf ihre gemeinsame Tochter zu übertragen begann. Die Kraft in seinen Armen schien regelrecht zu explodieren. Ein fürchterlicher Schmerz jagte durch seine Handgelenke. Seine Fingerspitzen vibrierten.
    Der Wagen bewegte sich nicht.
    Will stieß einen Schrei aus, hoch, hell und fast kreischend. Er war nicht enttäuscht. Er war entsetzt.
    Das grauenhafte Gefühl, versagt zu haben, mobilisierte etwas, von dessen Existenz er bislang überhaupt noch nicht gewusst hatte. Er holte nicht erneut Luft, er gönnte sich kein Zögern und erst recht keine Zweifel, er spannte auch nicht bewusst die Muskeln oder tat sonst irgendetwas, das seine Kraft hätte vervielfachen können. Er machte nichts weiter, als nicht nachzulassen. Das blaue Flirren, das jetzt seine Hände umspielte und nach seinen Unterarmen züngelte, nahm er kaum wahr. Seine ganze Umgebung verschwand wie unter einem Grauschleier, so als schaltete sein Körper ganz automatisch alles auf Sparflamme, was nicht seinem Ziel diente.
    Es nutzte nichts.
    Die verkohlte Tür zur Schmiede klemmte und ließ sich trotz aller meiner verzweifelten Versuche nicht ein winziges Stück bewegen.
    Jedenfalls glaubte

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