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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vollständig geschmolzen war, und starrte hinab auf die Leiche eines Kindes, das ich nur ganz flüchtig gekannt hatte. Es hatte zu den Pilgern gehört, die gekommen waren, den machtvollen Schmied zu sehen, dem es gelungen war, göttliches Feuer in menschliche Gestalt zu bannen, von dem es hieß, er könne aus Eisen Gold machen und aus Unglück Glück …
    Was für eine Anmaßung! Erst in diesem schrecklichen Moment, als ich in die gebrochenen Augen des toten Pilgerkindes blickte, wurde mir bewusst, was ich getan hatte, welcher Anmaßung ich anheim gefallen war.
    Der Airbag auf der Fahrerseite hatte sich ausgelöst und nagelte nun den mit dem Kopf nach unten hängenden Fahrer auf dem Sitz fest. Obwohl die Fahrgastzelle bis auf das Dach relativ unbeschädigt geblieben war, regte sich der Fahrer überhaupt nicht. Vielleicht hatte er das Pech gehabt, so groß zu sein, dass er der Wucht des herabgedrückten Daches nicht hatte entgehen können. Sein Gesicht konnte Will von hier aus nicht erkennen, aber er glaubte lange Haare zu bemerken, die herabhingen wie bei einem Mädchen, das Kopfstand machte. Das blaue Lichtgewitter, das sich an der Tür entlud, schien nur ein Ziel zu haben: den Fahrer.
    Dünne Energiefinger liefen schwach und faserig über die Kunststoffverkleidung der Innentür, gespeist von der Kraft, die außen gegen das Metall tobte, und schon in den wenigen Augenblicken, in denen sich Wills Augen geradezu an diesem bizarren Bild festsogen, schien ihre Intensität zuzunehmen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sich das hin und her zuckende Wabern endgültig seinen Weg durch die Tür gebahnt hatte und auf den Fahrer übersprang.
    Aber das war nicht das, was Will an seinem Verstand zweifeln ließ. Bis auf den langhaarigen Fahrer – Fred oder ein anderer, ihm noch unbekannter Gorilla Georgs – war der Wagen leer. Von Duffy war nicht die geringste Spur zu sehen.
    Die Windschutzscheibe. Sie war durch die Wucht des Aufpralls aus ihrer Verankerung herausgerissen worden und lag nun etliche Meter vor dem Jaguar im Matsch. Eine Ecke war abgesplittert, wie Will erkannte, nachdem er sich mühsam wieder hochgezogen hatte, und an vielen Stellen eingedrückt, aber nicht komplett geborsten. Das grobe Gespinst von Fäden, das sich über die Scheibe zog, erinnerte ihn unangenehm an das blaue Züngeln, das sich den Fahrer zu holen versuchte. Aber es war keine Bewegung in ihm, und ihm fehlte auch die fast bösartige Ausstrahlung, die den Wagen einhüllte.
    Irgendetwas schien sich in der rauchgeschwängerten Luft um mich herum zusammenzuziehen, etwas Kaltes, Bösartiges, das den Flammen Hohn sprach, denen alles zum Opfer gefallen war, was ich mit meinen Gesellen in den Jahren des Stolzes und des Übermutes aufgebaut hatte. Ich erhob mich, so rasch ich konnte, und blickte zur Schmiede hinüber. Das bläuliche Wallen schien dort seinen Ursprung zu haben, es war ein bösartiges Zischen, das mir von dort entgegenschlug; und doch bemerkte ich es kaum, so sehr war ich über das entsetzt, was sich meinen Augen darbot.
    Die Schmiede war rußgeschwärzt, aber nahezu unversehrt. Das vernichtende Feuer hatte sie ausgespart. Und ich begann zu ahnen, warum.
    Ohne auch nur noch einen Moment zu zögern, stürmte ich los.
    Wills Blick wanderte weiter über das Feld. Wenn Duffy nicht angeschnallt gewesen war, musste sie herausgeschleudert worden sein. Es gab keinen Grund zur Panik, versuchte er sich einzureden. Sie war nicht durch die Windschutzscheibe gebrochen, sonst wäre diese nicht so relativ unversehrt, sondern musste durch die leere Fensterhöhle geflogen sein. Der Untergrund hier war alles andere als hart. Wenn sie nicht gerade unglücklich aufgekommen war und sich das Genick gebrochen hatte, war ihr womöglich gar nicht viel passiert.
    Aber sie war nicht da. Will blinzelte mehrmals, schloss einen Moment die Augen, starrte noch einmal intensiv nach vorne, drehte sich dann nach links, suchte auch hier jeden Quadratmeter mit seinen Blicken ab und wiederholte dann das Gleiche noch einmal in der anderen Richtung … Obwohl seit dem Unfall wenige Minuten vergangen waren, hatte die Sonne mittlerweile den Kampf gegen die Nacht gewonnen, und durch eine aufgerissene Wolkendecke gab sie genug Licht, dass er relativ weit blicken konnte. Duffy trug zwar nicht mehr das auffällige rosarote Nachthemd wie bei ihrer ersten Begegnung, aber ihr Gesicht, das T-Shirt, die Arme – all das musste die beginnende Morgenhelligkeit kräftig genug reflektieren,

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