Feuer: Roman (German Edition)
verlieren, bin ich eine gute Dreiviertelstunde vor der verabredeten Zeit da.«
»Und wenn er dich nun gleich sieht?«, fragte Angela. Sie steuerte den Polo in die mittlere Spur und gab Vollgas, um dem hupenden Transporter wegzufahren, den sie geschnitten hatte. »Dann weiß er doch, dass du irgendeine Schweinerei vorhast.«
»Und wenn schon«, sagte Will. Er starrte einen Moment lang unschlüssig auf den Kamm. »Wenn er mich gleich abfängt, hat er mich in seiner Gewalt. Das wird ihn beruhigen, verlasst euch drauf.« Mit einem entschlossenen Ruck steckte er den Kamm in seine Jackentasche. Es kam ihm beinahe so vor, als ob es eine Waffe wäre, die ihm noch einmal nützlich sein konnte. Ein lächerlicher, wenn auch irgendwie beruhigender Gedanke.
»Falls nicht, ist aber auch nicht viel gewonnen«, sagte Mike. »Was können Sie schon in der knappen Zeit ausrichten, was ein Sondereinsatzkommando nicht könnte?«
»Mich nach Duffy umschauen, zum Beispiel.« Will schlug den Jackenkragen hoch und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Es nutzte nichts. Wahrscheinlich würde es noch ein paar Wochen dauern, bis die Kälte endgültig aus seinem Körper gewichen war, wenn das überhaupt jemals passierte.
»Ich verstehe noch immer nicht so ganz, was Sie besser können als ein SEK«, beharrte Mike.
»Überhaupt nichts«, murmelte Will. »Aber es gibt einen Unterschied. Wenn mich Georg erwischt, bekomme ich einen weiteren Minuseintrag auf der nach unten offenen Sünder-Skala. Wenn er dagegen ein paar vermummte SEK-Beamte durch seine heiligen Hallen laufen sieht, gibt er Großalarm. Und dann könnte es sein, dass irgendeiner seiner Handlager durchdreht und etwas ganz Dummes tut.«
»Zum Beispiel, indem er Duffy eine Pistole an den Kopf hält und freies Geleit fordert«, ergänzte Angela. Sie ließ den Polo von einer Lücke zur nächsten hüpfen, um dem beginnenden Stau ein Schnippchen zu schlagen. Will hoffte nur, dass sie wusste, was sie da tat. Sie hatte schon drei Hupkonzerte und mindestens eine Vollbremsung provoziert, aber so wie es aussah hinderte sie das nicht daran, ihren kamikazeähnlichen Fahrstil fortzusetzen.
»Trotzdem«, sagte Mike. »Es wäre besser, wenn ich wenigstens mitkommen würde.«
»Nein«, sagte Will. »Ausgeschlossen. Georg hat verlangt, dass ich alleine komme. Und daran werde ich mich halten.«
Martina unter diesen Umständen wiederzusehen war für Will mit das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte. Sie wirkte blass und übernächtigt. Das Kostüm, das sie trug, sah aus, als stamme es von einer ehrgeizigen Brokerin, die jeden Morgen frisch geschminkt und mit betont selbstsicheren Bewegungen ins Büro hastete. Es passte überhaupt nicht zu Martinas bleichem Gesicht und den dunklen Rändern unter ihren Augen. Nur die schmale Aktentasche, die sie in der Hand trug, erinnerte daran, was sie mit einer Brokerin gemein hatte: Sie war gerade auf der Bank gewesen, um ein ungewöhnliches Geschäft zu tätigen.
Das Abheben eines höheren Betrags war sicherlich keine alltägliche Sache; selbst dann, wenn man über das nötige Kleingeld verfügte. Will hätte nicht einmal tausend Euro aufbringen können, um Duffy auszulösen.
Martinas Augen weiteten sich, als er hinter Mike auf der Beifahrerseite aus dem Polo stieg. Sie starrte ihn an, als sähe sie ein Gespenst.
»Will«, keuchte sie. »Was ist passiert?«
»Angela hat mir einen Anzug gekauft, der ein paar Nummern zu groß ist«, sagte Will. Er machte es noch schlimmer, indem er hinzufügte: »Und Mikes Schuhe passen mir auch nicht. Sie sind mindestens zwei Nummern zu groß.«
Es war kein lahmer Scherz, es war überhaupt keiner, sondern höchstens trotzige Verzweiflung – und so kam es bei Martina auch an. »Du siehst um fünf Jahre gealtert aus«, stellte Martina erschüttert fest.
Will hätte das Kompliment zurückgeben können, obwohl es nicht ganz stimmte. Martina sah nicht nur fünf Jahre älter aus, sondern ganz genau so alt, wie sie jetzt mittlerweile sein musste, während sie bis letzte Nacht kaum älter als Angela gewirkt hatte. Keine Kosmetik der Welt konnte die Sorge einer Mutter um ihre Tochter wegschminken.
»Du kannst dich doch kaum noch auf den Beinen halten«, sagte Martina. »Willst du die ganze Sache nicht abbrechen?«
»Und dann?«, fragte Will leise.
Martina starrte ihn eine Weile schweigend an und nickte. »Wahrscheinlich hast du Recht. Wir haben gar keine andere Wahl, nicht wahr?«
Will dachte einen Moment lang über die
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