Feuer: Roman (German Edition)
verschmelzen, ließ ihn einfach nicht los, auch nicht, nachdem er sich Schritt für Schritt weiter vorwärts gezwungen hatte. Er hatte sich selbst nicht nur dem Fremden im Wolfspelz gegenüberstehen sehen, als wäre er wie durch ein Wunder durch die Zeit gereist und habe sich plötzlich vor ihm materialisiert, er glaubte sogar, den Schnee auf seinen Lippen zu spüren, den ihm der Wind entgegengewirbelt hatte, als der Fremde die Tür zur Schmiede geöffnet hatte …
Was für ein Blödsinn.
Um ihn herum war es warm, hell und voller Menschen, die durch die Sonne beschwingt den verschiedensten Tätigkeiten nachgingen, und nirgends war auch nur das geringste Anzeichen eines bevorstehenden Wetterwechsels zu erkennen, und schon gar nicht von dem eines Schneesturms. Trotzdem konnte sich Will kaum von der Vorstellung lösen, durch dichten Schnee zu stapfen statt über aufgeheizte Betonplatten. Schließlich blieb er stehen, starrte hinauf in den fast wolkenlosen Himmel und atmete tief durch.
Ganz in der Ferne glaubte er dunkle Wolken zu sehen, die ungewöhnlich in Form und Konsistenz waren, und es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass sie von einer zuerst fast senkrecht aufsteigenden und dann in alle Richtungen zerfasernden Rauchsäule herrührten. Das erklärte immerhin, wohin die Feuerwehrwagen unterwegs gewesen waren, die mit Vollgas durch die Innenstadt gebrettert waren.
Als er sich umdrehte, erkannte er auch hinter sich etwas, das eine unangenehme Ähnlichkeit mit einer Rauchsäule hatte. Gleichzeitig glaubte er so etwas wie fernen Brandgeruch wahrzunehmen und den bitteren, leicht metallischen Beigeschmack, den in Brand geratene Gebäude mitunter absonderten. Mit zusammengekniffenen Augen ließ er den Blick einmal in die Runde schweifen, über die Dächer der angrenzenden Gebäude und der zurechtgestutzten Bäume hinweg, die diesem Stadtteil den Charakter eines Vororts vermitteln sollten, ohne es jedoch zu können; viel zu sehr war auch hier das städtische Getriebe der Millionenstadt zu spüren.
Insgesamt zählte er fünf Rauchsäulen, und sie umgaben seinen Standpunkt, als hätte ihn jemand in vollster Absicht mit Brandherden einkesseln wollen. Er runzelte die Stirn und verscheuchte das Unbehagen, das bei diesem Anblick in ihm hochsteigen wollte. Eine Zunahme von Bränden im Hochsommer war nichts Ungewöhnliches und kein Grund, auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden. Ganz im Gegensatz zu dem, was vor ihm lag.
Georg. Er musste sich auf Georg konzentrieren und auf die Begegnung, die ihm mit dem Mann bevorstand, der einst behauptet hatte, so etwas wie ein Freund für ihn zu sein. Wie hatte er nur so verrückt sein können, sich jemals auf ihn einzulassen? Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er mehr als deutlich gespürt, dass er diesem machtbewussten Mann nicht gewachsen war, aber er hatte sich einzureden versucht, dass ihm nichts passieren konnte, solange er sich nicht zu tief in die schmutzigen Geschäfte verstrickte, die Georg im großen Maßstab betrieb.
Als er wieder losging und nach ein paar Schritten die Straße überquerte, erscholl direkt neben ihm ein halb wütender, halb entsetzter Schrei, und dann zischte eine junge Frau auf einem Fahrrad haarscharf an ihm vorbei. »Können Sie nicht aufpassen, Sie Idiot?«, schrie sie ihm über die Schulter zu.
Will verzichtete darauf, ihr nachzublicken oder ihr eine Entschuldigung zuzurufen. Er musste aufpassen, dass er nicht die Kontrolle über sich verlor. Was auch immer mit ihm los war, konnte er später klären; jetzt ging es erst einmal darum, Duffy zu finden und nach Hause zu bringen – und dann konnte er weitersehen.
Er ahnte nicht, dass das Schicksal eine ganz andere Reihenfolge für ihn parat hielt …
Kapitel 33
Der Hintereingang zu Georgs ureigenstem Territorium lag unmittelbar vor ihm. Es war nur eine schmale Gasse, die alt und verkommen wirkte wie eine abgetakelte Prostituierte. Bis auf leises Vogelgezwitscher, das leise Raunen des Windes in den Hauseingängen und das ferne Wimmern einer Feuersirene war es absolut still hier, als wäre diese Gegend schon vor einer Ewigkeit fluchtartig verlassen worden. Die Häuser, die die Gasse säumten, sahen aus, als würden sie hier schon seit dem Anbeginn der Zeit stehen, und der Boden unter ihm war mit altem, durch die Zeit uneben und löchrig gewordenem Kopfstein gepflastert. Will hatte in einem halbzerfallenen Gewölbe am Ende der Gasse ab und zu einen Wagen zwischengeparkt und kannte
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