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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sich hier ganz leidlich aus, und doch kam es ihm so vor, als betrete er diese Gasse zum ersten Mal – was ja im Grunde auch stimmte, denn bislang war er noch nie zu Fuß hierher gekommen.
    Aber das war es nicht. Es war die Atmosphäre, die hier herrschte, die abgestandene Luft, die nach Moder, Abfall und Schlimmerem roch, und die Dunkelheit, die zwischen die Häuserzeilen kroch wie düsterer Nebel in einer Novembernacht und seine an das helle Sonnenlicht gewöhnten Augen kaum etwas anderes erkennen ließ als das von den Spuren der Zeit gezeichnete Kopfsteinpflaster zu seinen Füßen. Es kam ihm vor, als betrete er eine ganz andere, längst versunkene Welt. Die Unruhe, die er schon die ganze Zeit über empfunden hatte, schien geradezu zu explodieren. Er konnte spüren, dass hier etwas nicht stimmte; es war, als lauere vor ihm im Halbdunklen etwas auf ihn, als zöge sich um ihn herum ein unsichtbares Netz zusammen.
    Unwillkürlich nahm er die schmale Aktentasche hoch und presste sie fest an sich. Der Geldbetrag, den er bei sich trug, überstieg bei weitem ein durchschnittliches Jahresgehalt, und es war ihm nur zu bewusst, dass es mehr als leichtsinnig war, ohne besonderen Schutz in dieser Gegend damit herumzulaufen. Allerdings war es erst recht dämlich, die Aktentasche in einer deutlich als ängstlich, zumindest aber als vorsichtig erkennbaren Geste an den Körper gepresst zu tragen. Hastig ließ er sie wieder sinken.
    Der Eingang zu dem Kellerkomplex, der letztlich zu Georgs Nachtklub führte, befand sich am hinteren linken Teil der Gasse, nicht weit entfernt von der Stelle, in der einst ein großes mächtiges Tor die mittlerweile längst verschwundene Stadtmauer durchbrochen hatte. Er erinnerte sich vage daran, dass ihn Georg hier einmal herumgeführt hatte, bei einer ihrer ersten Begegnungen, als sie sich noch abgetastet hatten wie zwei Boxer in der ersten Runde, die nicht genau wussten, was sie voneinander zu halten hatten. Damals hatte ihn Georg mit historischen Details voll gelabert, die ihn nicht die Bohne interessiert hatten; etwas, das er danach nie wieder getan hatte und das Will erst jetzt, im Nachhinein, merkwürdig vorkam, weil es so gar nicht zu dem kaltschnäuzigen, machtbewussten Nachtklubbesitzer passte, als der sich Georg im Verlauf der letzten Jahre entpuppt hatte.
    Er wünschte sich, er hätte damals nicht nur Interesse geheuchelt, sondern tatsächlich aufgepasst. Georg hatte irgendetwas von alten Katakomben erzählt, die es hier unter der Stadt geben sollte, von Geheimgängen und Verliesen. Komisch, dass er sich erst jetzt daran erinnerte. Wenn Georg Duffy irgendwo gefangen hielt, dann sicher nicht in seinem Klub, sondern in den alten Gemäuern unterhalb seines Domizils – wenn es denn hier tatsächlich so etwas gab. Will ließ seinen Blick über den hinteren Teil der Gasse schweifen, den Teil, in dem sich der schmale Abgang befand, den er ein paarmal als Abkürzung zu Georgs Nachtklub genommen hatte. Schon damals war es ihm aufgefallen, wie alt und verkommen hier alles wirkte, so, als wäre schon seit Jahrhunderten nichts mehr an der bröckligen Fassade der Fachwerkhäuser getan worden, und bislang hatte er Georg insgeheim dafür beglückwünscht, den Hintereingang zu seinem Reich so gewählt zu haben, dass sich hierher bestimmt niemand aus Zufall verirrte.
    Das sah er nun mit ganz anderen Augen. Stroh und Lehm quollen wie Eingeweide aus einem verendeten Tier zwischen den Balken der Häuser hervor, und das, was von den schmalen Fensterrahmen übrig geblieben war, hätte mühelos ein Dreijähriger mit dem Finger durchbohren können. Es sah so vergammelt und abstoßend aus, dass sich Will fragte, ob die Typen vom Denkmalschutz nur im Dauerschlaf waren; das hier war offensichtlich erhaltenswerte Bausubstanz, aber niemand schien sich auch nur im Entferntesten die Mühe zu machen, etwas für ihren Erhalt zu tun. Mit ein paar raschen Schritten war er an dem Abgang, einem schmalen, nicht minder baufällig wirkenden Eingang in das Gewölbe unterhalb des Hauses, das über ein paar Winkel zu dem Keller unter Georgs eigenem Anwesen führte. Er spürte ein beängstigendes Schwindelgefühl in sich aufsteigen, als er sich vorbeugte und in den düsteren Kellereingang hinabstarrte, zu dem eine schmale ausgetretene Treppe aus gehauenen Steinen hinabführte – in dieses düstere Loch, das ihn an irgendetwas erinnerte, das vielleicht real, vielleicht aber auch nur eine bedrückende Fantasie gewesen war. Georg

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