Feuer: Roman (German Edition)
dein Erbe zu übergeben, als ob ich einer der euren wäre.«
Der Wolfsgesichtige donnerte mich gegen die Felswand. Sein Gesicht war mir so nahe, dass ich nichts weiter zu sehen glaubte als das Funkeln in seinen Augen.
»Gib mir Niduds Ring«, donnerte er. »Und ich verschone deine Tochter.«
»Niemals!«, schrie ich ihm entgegen und warf mich auf ihn. Hier unten, in der Welt des Feuers, in dem Teil der Welt, in dem Surtrs Erbe noch etwas galt, glaubte ich mich Fenrir ebenbürtig, wenn nicht überlegen. Ich spürte, wie sich das Feuer von den Fesseln losriss, ich spürte, wie der heiße Atem des Drachen uns beide streifte, und ich wusste, dass nichts und niemand ihm gewachsen war, außer mir selbst und Ida, meiner Tochter …
Fenrir versuchte sein Kurzschwert im letzten Moment mit einem entschlossenen Ruck nach oben zu reißen, aber ich war schneller, ich umfasste sein Handgelenk mit festem Griff. Mit der ganzen Kraft, die in meinem Schmiedearm steckte, drückte ich zu und bog seinen Arm gleichzeitig herab.
»Ein Handel«, sagte Georg. »Nichts weiter als ein kleiner Handel. Im Gegenzug zum Leben deiner Tochter übergibst du mir Niduds Ring, mit dessen Hilfe ich hier an Ort und Stelle über das Drachenfeuer gebieten werde, ganz so, wie es sich nach den alten Überlieferungen gehört.«
Will gab einen keuchenden Laut von sich, als er den Fuß auf dem gesprungenen Stein aufsetzte, und sofort zog er auch das andere Bein nach. Einen schrecklichen Augenblick lang schwankte er hin und her wie ein Baum, der vom Wind gepeitscht wird, doch dann gelang es ihm, das Gleichgewicht wiederzufinden.
»Du willst bestimmt wissen, was das alles zu bedeuten hat«, sagte Georg. »Ich erkläre es dir gerne.«
Nichts wollte Will wissen, nichts außer der Antwort auf die Frage, wie er die nächste Stufe würde erreichen können, die, wie um ihn zu verhöhnen, nicht nur ein Stück weiter von der vorhergehenden entfernt war, sondern auch leicht gedreht auf ihrem Untergrund ruhte und zudem in drei Teile gesprungen war, so dass er sich erst einmal aussuchen musste, worauf genau er seinen Fuß zu setzen beabsichtigte.
»Nach der germanischen Überlieferung stand Feuer im Anfang alles Seins, getragen von der Macht Surtr, dem gigantischen Feuerträger, und immer war es eng verbunden mit dem sagenumwobenen Drachenfeuer.« Georg lachte rau auf. »Die Germanen müssen etwas gewusst haben, was uns bislang entgangen ist. Tatsache ist jedenfalls, dass Wayland die archaische Macht des Drachenfeuers für seine Zwecke nutzen konnte und Dinge schuf, wie sie die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Nach wie vor lässt sich auf das Drachenfeuer Wohlstand und Macht gründen – wenn man denn nur mit ihm umzugehen weiß. Und du darfst dir sicher sein, dass ich das weiß, ganz im Gegensatz zu dir Versager.«
Will versuchte, in die Hocke zu gehen, aber das klappte nicht. Sein verletztes Bein reagierte darauf mit einem explosionsartigen Schmerz, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Kurz bevor er endgültig das Gleichgewicht zu verlieren drohte, griff er neben sich, klammerte sich an einer Felskante fest und riss sich mit einem entschlossenen Ruck hoch und auf die nächste Felsplatte, erst einen Fuß, und dann den anderen … mit dem Erfolg, dass ein Schmerz heftig wie ein Gewittereinschlag durch seine Brust fuhr und ihm sekundenlang den Atem raubte.
»Wayland hatte viele Neider«, hämmerten Georgs gebrüllte Worte gegen das Getöse um sie herum an. »Aber meine Vorfahren gehörten nicht dazu. Sie waren es, denen die Beherrschung des Feuers eigentlich zustand, und sie empfanden keinen Neid. Für sie zählte nur der unzähmbare Wille, sich das zu holen, was ihnen gehörte.«
Die nächsten zwei, drei Atemzüge waren pure Qual. Will hatte das Gefühl, Glassplitter einzuatmen statt normaler Luft, und noch dazu glühende Glassplitter.
»Sie schickten den Besten und Stärksten der Ihren aus, um das Erbe des Drachenfeuers zu fordern. Dazu bedienten sie sich einer List, die zu verwirklichen ihnen ausgerechnet Waylands Schwester Eimyrja half, die Hohepriesterin des Schmiedekults.« Georgs Stimme schwoll zu einem Donnern an, das mühelos die krachenden und berstenden Geräusche übertönte. »Eimyrja nämlich gehörte zum Kreis der Neider ihres Bruders, wenn auch aus ganz speziellen Gründen. Wayland hatte versprochen, ihren ältesten Sohn zu seinem Erben zu machen. Aber nun beharrte er gegen jede Tradition darauf, dass ihm seine Tochter nachfolgen
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