Feuer: Roman (German Edition)
zwei Meter guter, rheinländischer Erde. »Ich würde Ihnen gerne helfen, Herr Reimann«, sagte er, »aber ich kenne wirklich niemanden, auf den diese Beschreibung zutrifft. Jedenfalls niemanden, der mir meine Brieftasche stehlen würde.« Er lachte, ebenso leise wie gekünstelt. »Wer mich kennt, der weiß im Allgemeinen auch, dass es sich nicht lohnt.«
»Das ist schade«, sagte Reimann. Er griff noch einmal nach seiner Tasse, hob sie auf und setzte sie dann wieder ab, ohne getrunken zu haben. Während er aufstand, versenkte er abermals die Hand in der Jackentasche und zog eine Visitenkarte hervor, die er mit einer sonderbar geziert wirkenden Bewegung neben die halb geleerte Kaffeetasse legte. »Ich lasse Ihnen meine Nummer hier. Rufen Sie mich heute Nachmittag an, damit wir einen Termin ausmachen können.«
»Einen Termin?«, wunderte sich Will. Seine Beunruhigung stieg weiter. Reimann hatte ihm längst nicht alles gesagt.
»Sie müssen Ihre Aussage zu Protokoll geben«, sagte Reimann, der irgendwie das Kunststück fertig brachte, seine Worte so klingen zu lassen, als bedauere er sie tatsächlich. »Immerhin wurde Ihr Ausweis in der Tasche eines Menschen gefunden, der unter bisher nicht geklärten Umständen zu Tode gekommen ist. Da ist so etwas leider Vorschrift. Ich finde es auch lästig, aber es muss nun einmal sein.«
»Und ich vermute, ich soll auch bis dahin die Stadt nicht verlassen«, sagte Will. Er bedauerte seine Worte, noch bevor er den Satz ganz zu Ende gesprochen hatte. Reimann war bisher erstaunlich sanft mit ihm umgegangen, aber er sollte sich dadurch besser nicht dazu verleiten lassen, ihn unnötig zu provozieren.
»Aber das dürfen Sie doch sowieso nicht«, antwortete Reimann ruhig. »Wenn ich mich richtig erinnere, ist es Teil Ihrer Bewährungsauflage.« Er machte eine Kopfbewegung zu der Karte hin. »Vergessen Sie nicht, mich anzurufen. Und bleiben Sie ruhig sitzen – wir finden allein hinaus.«
Kapitel 5
Die Panik, die Will die ganze Zeit über noch halbwegs hatte unterdrücken können, schlug mit doppelter Wucht zu, kaum dass er das Geräusch gehört hatte, mit dem die Tür hinter Reimann und Falkenberg ins Schloss fiel. Plötzlich begannen seine Hände zu zittern; doppelt so heftig wie vorhin im Bad, so stark, dass es schon fast spastischen Zuckungen glich und der ganze Tisch, auf den er die Arme gestützt hatte, zu beben begann. Tassen, Gläser und Flaschen, die darauf abgestellt waren, begannen zu klirren, wie um eine atonale Begleitmelodie zum immer schneller werdenden Hämmern seines Herzens zu spielen, und für einen Moment rasten die Gedanken so schnell hinter seiner Stirn im Kreis, dass er den Halt in der Realität zu verlieren drohte und plötzlich das Bedürfnis hatte, einfach nur loszuschreien. Ein Gefühl ungläubigen Entsetzens hatte sich in ihm breit gemacht, schon in dem Moment, in dem Reimann und sein Assistent die Wohnung betreten hatten, und obwohl er es die ganze Zeit über irgendwie unterdrückt hatte, war es in dieser Zeit doch nur weiter angewachsen und drohte das bisschen an klarem Denken, über das er noch gebot, mit sich in den Abgrund zu reißen. Alles war aus. Er hätte sich niemals auf diesen Wahnsinn einlassen dürfen. Ein leichter Job, ohne Risiko – von wegen! An dieser Behauptung war ungefähr genau so viel Wahres wie an der Reimanns, ihm nur ein paar Routinefragen stellen zu wollen. Offensichtlich hatten die Bullen den Aston Martin noch nicht gefunden, denn sonst hätten die beiden ihn garantiert gleich mitgenommen, aber ebenso offensichtlich hatte ihm Reimann die Geschichte von der gestohlenen Brieftasche nicht für eine Sekunde geglaubt. Er wusste noch nicht, was, aber er spürte ganz genau, dass an Wills Geschichte etwas nicht stimmte, und Reimann gehörte zu jener Art von Polizeibeamten, die Will am allermeisten fürchtete. Karrieregeile Newcomer wie Falkenberg jagten ihm keine Angst ein; er wusste, wie solche Leute dachten, und auch, wie man am besten mit ihnen umging, aber Reimann war ein anderer Schlag. Wenn er glaubte, dass Will irgendetwas mit dem ausgebrannten Wagen und dem Toten darin zu tun hatte, dann würde er diese Spur aufnehmen und akribisch und geduldig verfolgen, und am Ende würde er ihn kriegen; das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Er brauchte dazu nicht einmal den Scharfsinn eines Sherlock Holmes oder die Nase eines Spürhundes – im Zweifelsfall würde es schon ausreichen, wenn er den Streifenbeamten, die gestern Abend
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